Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 5.1889

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Hofmann, Albert: Nordböhmische Kunstindustrien, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3586#0064

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
54

Nordböhmische Kunstindustrien.

Bürgstein und Schwoika an (Fichtenbach war
1872 veräußert worden) nnd verwaltet beide
Herrschaften heute noch. Auch er widmet seine
besondere Anfmerksamkeit der Spiegel- und
Rahmenfabrikation.

Gute Zeiten und günstige Geschüftskoujuuk-
turen sah die Bürgsteiner Spiegelmauufaktur
im 5. und 6. Jahrzehnt unseres Jahrhuuderts.
Zu jener Zeit faud ein bedeutender Export nach
Hinterindien, (Batavia), nach Jtalien, Rumänien,
Russisch-Polen, der Levante und speziell nach
Konstantiuopel statt, wo der türkische Hof große
Bestellungen machte. Eiue Denkschrift hebt be-
sonders hervor, „daß trotz des anerkannten Ein-
stnsses der Franzosen in Ägypten die Spiegel-
einrichtung des Vizekönigs für die Residenz in
Kairo seinerzeit von der schlichten alten Firma
in Bürgstein geliefert werden mnßte. Das eng-
lische Kasino in Smyrna, die Niederlagen in
Smyrna, Beirut, Konstantinopel, Odessa, Buka-
rest u. s. w. bergen die wohlbekannte Bürg-
steiner Ware." Um 1840 lieferten die aus-
gedehnten, mit einer eigenen Folienhämmerei
versehenen Kinsky'schen Glasschleifereien zu
Bürgstein und Wellnitz (auch Lindenau?) jähr-
lich im Turchschnitt an 3700 Stück weiße Spie-
gel von verschiedener Größe. (Balling, Gewerbe-
wesen VI. 236.) Der jahrliche „Gewinn" be-
trug damals 24000 fl. Konventionsmünze. Je-
doch es traten schlechtereZeiten mit ungünstigeren
Geschäftskonjunktnren ein, die sich erst in den
letzten Dezennien wieder hoben. Jn diesen gün-
stigeren Zeiten produzirte Bürgstein jährlich
12000 Stück geschliffener, facettirter und belegter
Spiegelgläser, die außer in den österreichischen
Provinzen so ziemlich in der ganzen civilisirten
Welt Absatz finden.

Es ist einZeichen frischen Pulsirenden Lebens
bei der allgemeinen Niederlage der böhmischen
Glasindustrie, daß es der Bürgsteiner Manu-
faktur seit dem Jahre 1874 gelang, sich mst
der Fabrikation venetianischer Spiegel eine gang-
bare Ware für den Spiegelmarkt zu schaffen.
Die Wiener Weltausstellung des Jahres 1873
mit den schönen Objekten, welche Jtatien und
Frankreich in dieser Art ansstclltcn, dürften den

Jmpuls znr Wiedereinführung gegeben haben.
Die Vorherrschaft der venetianischen Manusak-
tnren hat damit aufgehört; die Fabrikation hat
sich mit Glück auf Osterreich übertragen, aller-
dings nicht zum ersten Male, denn es wird schon
aus dem Schlnsse des XVIII. Jahrhunderts
berichtet, daß die Bürgsteiner Manufaktnr die
Glasrahmen der Spiegel nach „venetianischer
Art" angefertigt habe. Doch kam die Herstellung
derselben später wieder in Verfall. Mit den
modernen Erzeugnissen dieser Art kann Bürg-
stein mit Jtalien und Frankreich ehrenvoll kon-
kurriren. Die Spiegel, die künstlerisch minde-
stens auf gleicher Höhe wie die des Anslandes
stehen, stellen sich der in Böhmen geringeren
Lohnsätze wegen auch in der Preisfrage günstiger,
so daß sie als wirksamer Handelsartikel berufen
zn sein scheinen, die allgemeine Deroute in der
böhmischen Glasindnstrie aufzuhalten, wenn nicht
dieselbe allmählich wieder zn fördern.

Die Herstellung von Spiegelrahmen ist in
Bürgstein eine sehr gepflegte Spezialität, bei
welcher hauptsächlich die Bildhauerei in Ver-
wendung kam. Schon 1649 tritt die Bild-
schnitzerei in Bürgstein auf und wird der Name
Hans Hübner als tüchtiger Bildhauer genannt-
Jn späteren Zeiten leuchten die Namen der
Gebrüder Max, Josef Melzer, Julius Melzer,
Fr. Wessely, Anton Wagner rc. hervor. 11m dic
Mitte des 7. Jahrzehntes unserer Zeit begann
man dic Spiegelrahmenfabrikation mit Nach-
drnck zu betreiben, und Anßerordentliches wird
in Gold- und polirten, mit kunstvollen Silber-
einlagen gezierten Rahmen geleistet. Unter dcn
aus der Fremde herangezogenen Bildhaucrn nnd
Modellenren wird hauptsächlich dcr 3tame dcs
Franzosen Charles Masson genannt. Nebeic den
plastischen Rahmen bilden anch die glatten Gold-
und Politnrrahmen eine ausgedehnte Jndustrie,
zu deren Ilnterstütznng 1860 anf Veranlassung
des Grafen Kinsky als die ersten Vergolder und
Staffirer Anton Wagner aus Oberleuchtensdorf
und Franz Heller aus Algersdorf nach Bürg-
stein kamen. — So stellt sich die Bürgsteiner
Spiegelmanufaktnr als eine dcr crsten Knnst-
indnstric» Nvrdböhmens dar.
 
Annotationen