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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 5.1889

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Heft 5
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Bötticher, Georg: Ein Wort zur Stilfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.3586#0087

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Von Georg Bötticher.

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ledigen, dürfte ein unerreichbares Kunststnck sein,
ganz abgesehen davon, daß es ein thörichtes
Unternehmen bliebe, Errnngenschaften aufzu-
geben, die unsere Erkenntnis von den Dingen
gefördert haben.

Und darum kann es sich in diescr Frage
nicht um die handeln, deren Bildung bereits
eine abgeschlossene ist, nicht um das gegenwartig
schaffende Geschlecht; von ihm ist keine Umkehr
zn erhoffen nnd zu verlaugen. Die Jugend
ist es, die heranwachscnde, erst zu bildende und
nach jeder Richtung bildnngssahige, die einzig
und allein hierbei in Betracht kommt. Und
beziiglich dieser giebt allerdiugs die Frage viel
zu denken und regt zn eingehender Erörte-
rung an.

Man hat ost, gewiß mit Recht, Verwun-
dcrung darüber geäußert, daß in der Gestaltung
und ganz besonders der Verzierung unserer
kunstgewerblichen Erzeugnisse die tausend und
abertausend Formen unserer heimischen Flora
so gut wie gar nicht in Anwendung kommen
oder höchstens in konvcntioncllcr, seit altenZeiteu
bercits geläufiger ?luffassung. Gerade bei den
besscren Erzeugnisseu.den sogenannten „stilvollen"
Gebrauchsgegenständen ist dieser Mangel ihrer
künstlerischcn Erzeuger an eigencm Studium
der Pflanzen, dieser ewigen Vorbilder für den
Ornamentisten, höchst auffallend. Wie anders
verfährt dagegen dcr Japaner in der Anwen-
dung der Flora und Fauna seines Landes! Es
giebt kein noch so unbedenteudes Pftänzchen und
Tierchcn, das er nicht zu verwerten und durch
Zusammenstellung mit andcren in einen für das
Auge uud künstlerische Gefühl wohlthucndcn
Gcgeusatz zu bringen wüßtc! Wie liebevoll ein-
gchcnd hat er die heimischenGewächse,Schmetter-
linge u. a. in allen ihren Erschcinungcn studirt!
Die dcutsche Flora abcr blüht für unsere Or-
namcntistcn ganz vcrgeblich, und die Versuche,
die hin und wiedcr anfgetaucht sind, neue Mo-
tive aus ihr dem Formenschatze unsercr Ver-
zicrungsweise einzuverleiben, haben klägliches
Fiasko gemacht und sind längst wieder von der
Bildfläche vcrschwundcn. Tenn alle diese Ex-
perimcnte licfen entweder daraus hinaus, in
jämmerlicher Äußerlichkeit das alte Verzierungs-
shstcm beiznbchalten und nur hier und da an
Stelle einer Palmette irgend ein fächerartiges
Blättchcn, für eincn Granatapfel einen Disiel-
kopf zu setzen, oder sie stellten die früheren
Slilgesctzc in gesucht-origineller Wcise auf den

Kopf und lieferten geschmacklose Wunderlichkeiten,
oder aber sie versuchten Blumenstndien nach der
Natur mit allen unkünstlerischen Zufälligkeiten
und ohne jede Berücksichtigung des zu verzie-
rendeu Gegenstandes, also den alten Naturalis-
mus, als Neuheit einzuschmuggeln.

Die Autoren dieser unglücklichen Versuche
ermangelten keineswegs immer des Talentes.
Verschiedeue von ihnen waren treffliche Blumen-
maler und gleichzeitig geistvolle Ornameutisten,
sobald sie die Gegenstände in der Art
dieses oder jencs Stils zu behandeln
hatten. Sowie sie aber im Stil neu sein,
Pflanzenformen, die noch nicht verwendet, in
denselben einsühren wollten, gerieten sie in
einen der drei erwähnten Fehler und brachten
nichts Ersreuliches zu stande. Es stak ihncn
eben die angelernte Anschauung: die Natur-
formcn als eins und die Verziernngsformen
als ein anderes, jcnem gegenüberstehendes, an-
zusehen, so im Blut, daß cs ihnen mit dem
bcsten Willen unmöglich war, die bciden Ele-
meute zu vcrquicken und damit ctwas wirklich
Stilistisches zu schaffen.

Dies aber bringt uns auf den Kernpunkt
dcr Frage. Es scheint uns nämlich der große
Gruudfehlcr unsererKunstgcwcrbeschulen zu seiu,
daß schon der Schüler, ehe cr überhaupt noch
die Naturformen kennt und, vor allem, ehe ihm
das Wcsen dcr Form in ihrem Verhältuis zur
verziercnden Kunst klar geworden ist, die Formcn
dcr alten Stilartcn d. h. die doch aus dcr Natur
entlehnten Ornamentsormen als ein Gegen-
sätzliches zu den Naturformcn anffassen
lernt und daß infolgedessen, wenn er später zu
eignem Erfinden gelangt, seine Phantasie im
Bann der überlieserten Verzierungsfvrmen steht
uud er, wenn es nun daranf ankommt, eigenartig
und neu zu sein, trotz aller Naturstudicn, sich
nicht zu helfen weiß.

Schon längst haben die Maler und Bild-
hauer das altc schädlichc, zu konventionellen
Schafsen führende Prinzip über dcn Haufen
geworfen: crst alte Vorbildcr und dann dic
Natnr zu studiren. Heut weiß jedcr, daß er
das eigne, naive, originale Sehen schädigt,
wenn er zuerst Formeln nnd Gesetze auswendig
lernt, die frühcr wohl gegvlten, ihrer Natur
nach aber ewig wechseln müssen. Ein jeder
weiß, daß, wcnn cr erst in rcchtem Studinm
der Natur sein Auge geübt und Formen- und
Farbenkcnntnis erworben, ihm dann einesteils

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