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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 5.1889

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Heft 9
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Hofmann, Albert: Nordböhmische Kunstindustrien, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3586#0148

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Nordböhmische Kunst-Jndustrien.

steinen, unter welchen allen freilich der Pyrop
oder Granat der vornehmste ist, und welche
hauptsächlich auf dem Berge Kvzukov gefunden
werden, die Rubine, Achate, Amethyste, Kar-
neole, Chalcedone, Saphire, Jaspise, Hyazinthen,
Smaragde, Topase, Chrysoberylle, Bergkrystalle
und Opale erfahrcn in Turnau ihre Veredelung
nnd erstehen in Glanz nnd Leuchtkraft.

Die durch Generationen vererbten Ein-
richtungen der Schleifereien sind die primitivsten:
in den meisten Fällen ein mit der Hand ge-
drehter Schleifstuhl, an dessen mit Schmirgel
bestreuter, sich bewegender Bleischeibe der Stein
gehalten wird; es ist so der Geschicklichkeit der
Hand überlassen, mit geometrischer Regelmäßig-
keit die verschiedenen, kleinsten Facettenflächen
nnd scharsen Kanten, die oft einer nur mini-
malen Drehung der Hand ihre Entstehung ver-
danken, hervorzubringen. Auch die Jntensität
der Leuchtkraft ist nicht unabhängig von der
Haltung der Hand, was znr Folge hatte, daß
die Dampfschleiferei, welche keine so minimale
und feinfühlige Regulirung zuläßt, wie die Hand-
bewcgung, noch wenig Eingang gefunden hat,
sondern der hausindnstrielle, patriarchalische Be-
trieb noch allenthalben herrscht.

Über die frühesten Anfänge der Turnauer
Edelsteinindustrieistvorläufig nochnichts bekannt.
Die ersten Nachrichten datiren aus der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhnnderts, kurz nach dem
Ende des Dreißigjährigen Krieges. Dieser aber
scheint alle früheren Spuren verwischt zn haben,
da gerade für Böhmcn kein andcrer Krieg von der
zerstörendenWirkung war, wie der Dreißigjährige
Krieg. Daß es aber gestattet sein dürfte, dieser
Jndustrie ein ziemlich hohes Alter zuzuschreiben,
unterstützt der Umstand, daß die reichen Schätze
des Kozäkover Berges der Bevölkerung jeden-
falls schon früh bekannt wareu. Der Umstand,
daß ein böhmischer Chronist, Paul Stransky
in seinem 1643 heransgegebenen „Staat von
Böhmen" den Ausspruch that, es gebe Gegen-
den im Lande, „wo der Kuhhirt oft nach der Kuh
mit einem Steine wirst, der von größerem
Werte ist, als sie selbst", kann nicht gegen die
Annahme einer frühzeitigen Ausbeutung der
Edelsteine angeführt werden. Wie Josef Leopold
Wander von Grünwald in seiner „Physikalischen
Beschreibung des Bunzlauer Kreises" (1786)
(Abhandlungen der böhmischen Gesellschaft der
Wissenschaften) erzählt, genoß die Tnrnauer
Edelsteinindustrie im Ausgange des 17. Jahr-

hunderts schon einen bedeutenden Ruf und die
Jndustrie blühte, bis ihr aus dem Süden eine
schwere Katastrophe drohte. Es war die Kon-
knrrenz der venetianischen Kompositionssteine,
des sogenannten „Glas- oder Goldstusses", der
um jene Zeit in Venedig erfunden wordcn
sein soll, obwohl ja doch nnr ein Wiedcranf-
leben gemeint sein kann, da ja schon aus dcm
. 14. Jahrhnndcrt berichtet wird, daß die schon
früh bekannte Jmitation von Halbedelsteinen
und Edelsteinen in Venedig nicht vergessen wnr.
Denn es wird erwähnt, daß der Herzog von
Anjou schon um 1360 venetianische Gläser
besaß, die wie Jaspis aussahen. Aus den
Jahrcn 1470 und 1480 werdcn Jmitationen von
Edelsteinen als ini Besitze Karls des Kühneu
und Maximilians von Österreich genaunt, ein
Beweis, daß diese Produktion nicht aufhörte.
Wie ein Spiegel Heinrichs III. im Llusös cks
Olun^ in Paris zeigt, wnrdcn die falschen Edel-
steine auch zur Dekoration der vcnetianischen
Spiegel verweudet. Es kanu demuach uur an-
genommen werden, daß gegen Ansgang des
17. Jahrhnndcrts, als die venctianische Prodnk-
tion immer mehr nnd mehr erlvsch, anch die
Fabrikation der farbigen Glasflüsse aufhörte
und vergessen wnrde und daß mit dem Auf-
gange des 18. Jahrhundcrts gleichzeitig mit
einem neuen Aufschwunge der venetianischcn
Glasindustrie anch die farbigen Glassteine wieder
größere Verbreitung fanden und auch nach
Turnau kamen. Hier war große Not und zwei
Jahrzehnte liegt die Edelstcinindnstrie völlig
darnieder, bis sich die Tnrnauer entschlossen,
auch falsche Stcinc zn machen. Zwei Turnauer
Einwohner, dic Gebrüdcr Fischer, machten sich
auf nach Venedig, um unter strenger Verheim-
lichnng ihrer Provcnienz das Geheimnis der
venetianischen Steiue zu ergründen. Als sie indes,
ihres Erfolges sicher, nach ciniger Zeit wieder in
ihre Heimat zurückkehrten, schlugen die ersten Ver-
suche gänzlich fehl; erst das Jahr 1711 brachte
ihnen dnrch Zusall die richtige Komposition,
die, ans Kiesmehl, Salpeter nnd Mennige, mit
einem Zusatze von Gold bestehend, als der
sogenannte „venetianischc Fluß" noch heute durch
die Lampenarbeiter ihrcr leichtcn Schmelzbar-
keit wegen verwendet wird. Diese Erfindung
brachte die Turnauer Jndustrie wieder in Flor
und die Turnauer Produkte wurden bald ge-
suchter wie die venetianischen. London, Paris,
Neapel rc. sandten ihre Händler nun statt nach
 
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