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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — 5.1889

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Heft 9
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Mielke, Robert: Noch ein Wort zur Stilfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.3586#0153

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Noch ein Wort zur Stilfrage.

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derten Herstellungsprozeß bedingt werden, son-
dern auch bezeugen, wie sehr sich die Jdeenwelt
des schaffenden Künstlers verändert hat, und
die so ganz neue Werke erzengen.

Es ist znnächst zu betonen, daß der Ein-
fluß der Japaner auch bei uns die Vorliebe
für realistisches Ornament gesteigert hat. Selbst
beim stilisirten Ornament kommt hin und wieder
das Zurückgehen auf die Natur zum Druchbruch
und äußert sich in der mehr oder minder rea-
listischen Durchbildung der Details. Warum
dabei aber unsere heimische Pflanzenwelt unbe-
rücksichtigt bleibt, ist um so unerklärlicher, als
diese gerade an charakteristischen Typen so reich
ist. Man wird uicht fehlgehen, wenn man
neben der nationalen Eigentümlichkeit, das in
der Ferne zu suchen, was man so nahe hat,
anch die verkehrte Unterrichtsmethode dafür ver-
antwortlich macht. — Sodann wird aber die
formale Erschcinung von zweiFaktoren beeinflußt,
die nur unseren Tagen eigen sind: das ist ästhe-
tisches Empfinden und malerische Komposition.

Die Asthetik ist eine verhältnismäßig junge
Wissenschaft, aber Einflnß auf die formale Ge-
staltung im Kunstgewerbe gewann sie erst seit
einigcn Dezennien. Das Wirken Karl Böttichers
nnd Jakobsthals ist noch hente maßgebend da-
dnrch, daß eine systematische Ornamentlehre das
Gcheimnis der Wirknng dem keimenden Talente
cnthüllt. Die Verteilung der Massen, die Be-
wegnng und der Schwnng der Linicn, die Har-
monie der Farbe werden so mehr von dem
wägenden Verstande geregelt. Trotz der alten
Formengrammatik ist die neue Komposition doch
etwas wesentlich Fremdes im Gegensatz zu den
Werken der Vorfahren. Es ist wie in der
Sprache; auch hier haben wir noch die alten
Buchstaben, aber die Schreibweise ist nicht mehr
die alte, neue Wortverbindungen und Flexionen
verleihen der jetzigen Schrift ein verändertes
Aussehen. Der Hauch unserer Zeit liegt so-
wohl auf dem geschriebenen oder gedruckten
Wort, wie auf dem Werke der Kunst. — Die
Kenntnis der Meisterwerke aller Stile, ver-
bnndcn mit dem kritischen Studium derselben,
hat die Gegenwart mit einem hochentwickelten
Formcn- nnd Farbensinn ausgestattet, der aber
bei dcr verstandesgemäßen Anwendnng meist
kühl nnd nüchtcrn wirkt. Wo srüher Liebens-
würdigkeit nnd Anmut, Gemütstiese und naive
llttvvllkommcnheit zu den reizvollsten Schvp-
fnngen sich verbanden, da erzeugt heute bc-

wußtes Wollen und Kenntnis der Ursachen des
Schönen eine scharf ausgeprägte Proportion
der Teile, die in letzter Linie wieder auf mathe-
matische Deduktionen znrückgehen, während in
der Farbenwirkung zu dem natürlichen Gefühl
dafür noch bestimmte Farbentheoreme sich ge-
sellen. Tritt zn diesen Voraussetzungen noch
der Betrieb der Maschine, die Massenfabrikation,
so erzengt diese Verbindung Werke, welche in ihrer
eleganten Trockenheit und starren Gesetzmäßigkeit
selbst unserer durchaus nicht sentimentalen Zeit zu
dürftig erscheinen. Der moderne Hellenismus
hat solche Schöpsnngen auf dem Gewissen.

Glücklicherweise jedoch hat man sich gegen
solche Kunst aufgelehnt und in der „malerischen
Komposition" ein Mittel gefunden, solche starren
Gebilde zu beleben und genießbar zu machen.
Sie beruht hauptsächlich auf dem Reiz, den die
nnmotivirte Störung des Gesetzmäßigen aus-
übt, und der immer wohlthuend wirkt, wenn
eine weise Beschränkung damit Hand in Hand
geht. Es ist ein fast unübersehbares Gebiet,
welches sich hier dem Künstler darbietet: der
Maler, Bildhauer, Architekt und Kunsthand-
werker benutzen es. Wo der eine Erker, Türme,
Rampen u. dergl. anwcndet, gebraucht der an-
dere exotische Pflanzen, Waffen rc., um die
Komposition zu bereichern. Die moderne Jnnen-
dekvration giebt hier ein treffendes Beispiel;
Makartbonguets, Waffen, Ampeln, Bücher,
hängende Teppiche, China- nnd Japanwaren
vereinigen sich hier zu einer Wirknng von
hohem Reiz. Wir überlassen es dem einzelnen
hier weitere Beispiele zu finden; sie bieten sich
anf allen Gcbieten des künstlerischen nnd ge-
werblichen Lebens dar.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß unser
gegenwürtiges Kunstgewerbe von drei Faktoren
beeinflußt wird, die seine Erzeugnisse von denen
der Vergangenheit unterscheiden nnd zngleich
die Bildung eines neuen, auf eklektischer
Grundlage bernhenden Stiles vorberciten.
Diese Erkenntnis führt von selbst darauf, zu
untersuchen, wieweit unsere Kunstgewerbeschulen
diesem Zcitgeist entgegenkommen. Wenn das
Resultat dieser Untersuchung auch noch tvenig
befriedigt, so wird eine Reorganisation des
Unterrichts nur eine Frage der Zeit sein. Für
den letzteren ist bcsonders das Stndium der
Natur und der Stilgesetze von Wichtigkeit, auf
deren kuusalen Nexus vor einigen Wochen an
dieser Stelle hingewiesen ist.
 
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