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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 3 (1. Novemberheft 1901)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0125

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Tintagiles: Werde ich sie nicht schen, die Königin?

Dgraine: Niemand kann sie sehcn . . .

Tintagiles: Warum kann man sie nicht sehen?

Vgraine: Komm noch näher, Tintagiles . . . Kein Vogel, kein Ärashalm
darf uns hören . . .

Tintagiles: Hier ist kcin Grashalm, Schwesterchen . . . (Stille) —
Was macht sie denn, die Künigin?

Dgraine: Das weitz niemand, mein Kind. Sie zeigt sich nicht . . .
Sie lebt da ganz allein in ihrcm Turmc, und die ihr dienen, gehen bei Tage
nicht aus . . . Sie ist sehr alt; sie ist die Mutter unsrer Niutter und sie will
allein herrschcn . . . Sie ist mißtrauisch und eifersüchtig, und man sagt, sie
wäre toll . . . Sie fürchtet, es möchte sich eincr ihres Thrones bemächtigen,
und ohne Zweifel hat sie in dieser Furcht gewollt, daß man dich hierher
brächte . . . Jhre Bcfehle vollziehen sich, ohnc datz man wützte, wie . . . Sie
steigt nic herab, und alle Pforten des Turmes sind Tag und Nachtgeschlossen...
Jch habe sie nie gesehen, aber andre, scheint cs, habcn sie gesehen, zu dcr Zeit,
da sie jung war ...

Tintagiles: Jst sie sehr hätzlich, Schwester Igraine?

Sjgrainc: Man sagt, sie wärc nicht schön und würde unförmig . . .
Aber wer sie gesehcn hat, wagt nicht mehr von ihr zu sprechen . . . Doch wer
weiß, ob die sie gcsehen habcn. . . Sie hat cine unbegreifliche Macht und wir
leben hier mit ciner großen erbarmungslosen Last auf unsrer Seele . . . Du
mutzt nicht über die Matzcn crschreckcn und böse Träume haben; wir werden
über dich wachcn, mein kleiner Tintagiles, und das Böse wird dich nicht er-
rcichen könuen; abcr entfcrnc dich nicht von mir, von deiner Schwcster Bcllangere
odcr unserm altcn Dicner Aglovale . . .

Tintagilcs: Auch nicht von Aglovale, Schwester Agraine?

Ngraine: Auch nicht von Aglovale . . . Er liebt uns . . .

Tintagilcs: Er ist so alt, Schwesterlein!

Vgraine: Er ist alt, aber schr weise . . . Er ist der einzige Frcund,
der uns bleibt, und er weitz mancherlei . . . Es ist sonderbar, sie hat dich
hierher kommcn lasscn, ohnc cs jemanden wissen zu lassen. . . Jch weitz nicht,
was in meinem Herzen vorgeht . . . Jch war traurig und froh, dich so weit
jenseits des Mecres zu wissen . . . Und nun . . . Jch war erstaunt . . . Jch
ging heutc Morgcn aus, um zu schen, ob die Sonne auf die Bcrge sticge,
und dich finde ich auf der Schwclle . . . Jch habe dich gleich erkannt. . .

Tintagilcs: Nein, nein, Schwesterlein, ich habe zuerst gelacht . . .

Agraine: Jch konnte nicht sogleich lachen. . . Du wirst verstehen . . .
Es ist Zeit, Tintagiles; der Wind weht schwarz über das Meer . . . Umarme
Mich fester, noch fester, bevor du aufstehst. . . Du weißt nicht, daß man
liebt . . . Gib mir dcine klcine Hand . . . Jch will sie wohl hütcn, und wir
wcrdcn jctzt in das kranke Schlotz zurückkchren . . . (Sie gehcn.)

2. Akt. Ein Gemach im Schlosse.

(Man erblickt Aglovale und Vgraine. Bcllangere tritt cin.)

Bellangsre: Wo ist Tintagiles?

Vgraine: Hier, sprich nicht zu laut. Er schläft im andern Zimmcr.
Er schien cin ivcnig blatz und auch ein wenig leidend. Er war müde von der
Reise und von dcr langen Ucberfahrt. Oder die Luft dcs Schlosses hat seine
klcinc Seele überwältigt. Er wcinte ohnc Anlatz. Jch habe ihn auf meinen

Uovembcrbeft
 
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