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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 13 (1. Aprilheft 1908)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0022
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GsdichLe vou Adolf Frey

^Iedesmal, wenn Gedichte von Adolf Freh erscheinen, bei der ersten
Auslage des Sammelbandes, wie angesichts der „Lieder eines Freiharst--
buben" und des „Totsntanzes" haben sich Männer gefunden, die auf den
Wert dieser Poesie mit großer Entschiedenheit hinwiesen, und jcht,
nun bei Haessel in Leipzig die außcrordentlich vermehrts zweite Auflage
der Gesamtausgabe herausgekommen ist, erheben sich die Stimmen dcs
Lobes aberinals laut. Eine große Gemeinde zu schaffen, wird dabei kaum
die Absicht der ernsten Kritiker sein; sie wollen nur, wie das auch der
Kunstwart will, die Poesiefreunde im engeren Sinne des Wortes zu
diesem wenig bekannten Qucll eines reincn Trankes führen. Denn mn
von der Menge geliebt zu werden, dafür verlangt Frehs Dichten von denen
zu viel, die im Lesen guter Poesie nicht geübt sind. Und anderseits schim-
mert hier nicht schon dem Herantretenden ein so starkes Persönlichkeits--
feuer zwischen den Strophen heraus, daß es, wie ein versprechendes Schatz-
leuchten aus dem Gestein, zu anstrengendem Bemühen lockte.

Gottfried Keller und Lonrad Ferdinand Meher sind nicht nur Freys
Vorbilder, sie sind seine unmittelbaren Erzieher und Lehrer gewesen;
dem Leser ist's oft, als begleite besonders Meyer den jüngeren Genossen
und korrigiere ihm manchmal die Pinselführung. Hat durch die beiden
Frehs Dichtung an ihrer Ursprünglichkeit gelitten? Ich glaube das doch
nicht. Zwischen zwci Genies wird ein Talent immer bescheiden aussehen,
aber ohne die Nachbarschaft der Genies wäre es deshalb nicht größer,
weil es vielleicht größer erschiene. Frey hatte nach den „Liedern eines
Freiharstbnben" damals in der Zeit Scheffels und Baumbachs den Wcg
zur Gunst des Tages offen. Im Verkehr mit Keller und Meher ward
ihm bis ins Licfste bewußt, daß Dichten nicht ein klingendes Neden ist,
sondern vor allem eine Bildnerkunst der Phantasis. Mag ihm einiges
Außerliche der Formgebung unbemerkt mit in den Geist geflossen sein
(manches, was dem Reichsdeutschen so erscheint, ist aber schweizerisches
Gemeingut), das Wesentliche war doch der innerliche Gewinn. Und es
wäre Augentäuschung, überall neben seinen Versen Keller oder Meher
zu sehn. Ls ist auch Goethe und Schiller dabei, und von allen nicht mehr,
als ein Talent aufnehmen darf, das dem Großen, zwischen dem es lebt,
nicht mit absichtlichem Andcrsseinwollen ausweicht. Zu einem eignen
Stile reicht Frehs Kraft nicht zu, das bezeugt z. B. „Winkelrieds Heim-
fahrt", wo der eigne Stil wie eine Vision auftaucht, die der Dichter nicht
bannen kann. Dennoch: sclbst, wo Freh der Gestaltung nach Epigonen-
kunst gibt, gibt er doch keineswegs Epigonenkunst dem Gehalte nach. Er
ist kein Nachempfinder, er ist im Fühlen ein Eigner.

„Es jagt mein Lied nach Tiefe, Glanz und Stärke." Wenn das
Dichten über das cigne Dichten schon an sich den Glauben an die
Ursprünglichkeit stört, so kann dieses Frehsche Wort besonders leicht be°
irren, denn das „Iagen" ist sicher die wenigstgeeignete Art, zu Glanz
und Stärke und gar zu Tiefe zu kommen. Aber den auch von der
wohlwollenden Kritik zu seiner Lharakteristik zitierten Vers bringt ein
Dialog „Tod und Dichter", in dessen „Dichter" wenigstens ich nicht ohne

j sü Kunstwart XXI, (3 j
 
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