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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 18 (2. Juniheft 1908)
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Avenarius, Ferdinand: Eduard von Gebhardt: zu seinem siebenzigsten Geburtstage
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0406
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geschehen war. Gebhardt ist unzweifelhaft jahrzshntelang der kraft-
vollste und innerlichste religiöse Maler Deutschlands gewesen, und
wird als solcher auch heute noch von keinem Iüngern übertroffen.
An schönen Einzelheiten ist auf seinen Werken so viel, daß man manche,
wie die „Bergpredigt" oder die „Erweckung des Lazarus«, von Kopf
zu Kopf durchgehen kann und auf jedem findet, was in die Tiefe lesen
läßt. Das tzöchste erreicht er für mein Gefühl in manchen Angesich-
tern, auf denen er den Ausdruck religiöser Inbrunst bis zum Er-
schütternden zu steigern vermag. A

Lose Blätter

„Arrekdoten" von Wilhelm Schäfer

l„Auekdotenkunst" gchört gemeiniglich zur angewandten Kunst. Denn
die Lechnik der Anekdatenerzählung, die vermeintliche „Kunst", d-n Hörer
bis znr überraschenden Schlußwendung zu spannen und gemeiniglich ihn
zum Lachen zu bringen, fällt unter die gcwöhulichen Gebrauchsgegenstände
des wirklichen Lebens. Es muß erst Künstlerarbeit auf sie augewandt
werden, um die Fertigkeit zur Kunst zu erheben.

Diese Arbeit wird nicht anders geschehen können, als daß die Sparsamkcit
des Berichtes und die Anspannung der Aufmerksamkeit auf die Pointe hin
beibchalten, innerhalb dieses Rahmens aber zugleich seelische Veziehungen
gegcben werden. Das Lachen, das gewöhnliche Lndziel, wird dann in der
Regel zum Lächeln verfeinert, die behandelten Personen wachsen sich von
Karikaturskelctten zu Charakteren aus, statt eines Witzes pflegt ein tragi-
komisch zugespitztes Stück Leben vorgeführt zu werden.

Anekdotenkunst solcher Art übt Wilhelm Schäfer, der rhei-
nische Dichter, Organisator dcs Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern
am Nhein und Leiter von dessen Zeitschrift „Die Rheinlande«. Wenigstens
heißt er sein ncues Prosabändchen (von dem die erste Ausgabe für die
Mitgliedcr des gcnannten Verbandes bestimmt war, das aber jetzt im
Verlage der „Rheinlande" zu Düsseldorf auch für die Sffentlichkeit er-
schienen ist) bescheidentlich „Anekdotcn". Ein gut Teil der andert-
halb Dutzend Stücke — sie spielen fast alle in der mittel- und nieder-
rheinischen Vcrgangcnheit — dürfte auch als Novellen ältercr Ordnung
angcsprochen wcrden, insoferne als für die Novelle eine in ihre Mitte ge-
legte pointierte Verwicklung kennzeichncnd ist, für die Anekdote aber die
Zuspitzung auf eincn überraschcnden Schluß. Indcssen sind die beiden
Gebiete praktisch nicht so streng voncinander zu scheiden. Der schlechthin
merkwürdige Vorfall kann so gut als Anekdote wie als Novclle vorge-
tragen werden; das käme hier in den etwa streitigen Fällen zur Anwen-
dung. Und am Ende ist die Anekdote — das An-Herausgegebene —
Keimzelle der Novclle.

Die gedrungene Kraft in Wilhelm Schäfer liebt es, sich auf cin kleines
zu beschränken und dies dann durch entschiedenste Kunstarbeit zu meistern.
Die Stoffe seiner Anekdoten — es werden gefundene mit erfundenen
gemischt sein — dienen ihm als bloßer Boden zur Errichtung eines kleinen
Kunstwerks. Aus der treffenden Antwort oder dem verblüffenden Vor-

^ 2. Iuniheft (908____229
 
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