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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 17 (1. Juniheft 1908)
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Batka, Richard: Operettenkoller
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0315
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Iahrg. 21 Erstes IunihefL 1908 Hest L 7

Operettenkoller

*^wei Iahre sind es her, da las man „unter dem Strich" einer
^«^großen Berliner Zeitung eines Morgens die folgende Depesche:
^I„Der neuen Operette von Lehär: »Die lustige Witwe«, die das
Theater an der Wien zur Aufführung brachte, ist eine sehr hübsche
und graziöse Musik nachzurühmeu. Sie enthält ausnehmend zier-
liche Walzerweisen und eingestreute slawische Melodien. Lehär hat
auch manchmal witzige Einfälle, so, wenn er einen Trauerchoral singen
läßt auf die Worte: »Sie ist eine anständige Frau«. Leider ver-
sagte der Text von Mktor Leon und Leo Stein vollständig, es
kommt weder zur Entwicklung einer Handlung, noch ist die fremde
Grundidee zu entdecken, nach der die Sache gearbeitet worden sein
soll, noch auch beleben irgendwelche lustige Gestalten die Szene.
Die Darsteller wußten, wenn sie nicht tanzten und sangen, mit ihren
Partien nichts anzufangen. Mizzi Günther tat sich durch reizvollen
Vortrag einer slawischen Volksweise besonders hervor. Der übliche
Premierenrummel fehlte nicht, doch gab sich zum Schlusse eine all-
gemeine Erschöpfung kund. Die anmutige Musik dürfte sich bei
diesem Libretto nicht halten können."

Der solches berichtete, war gewiß ein Mann von Urteil, aber er
war kein Prophet. Denn schon drei Monate später war diese Operette,
der er gleich allen andern Bühnenastrologen ein frühzeitiges Ende
geweissagt hatte, ein Schlager ersten Ranges geworden. Trotz der
ziemlich langweiligen Handlung wirkte schon der Animiertitel mit
magischer Gewalt. Wie ein Wonnen-Evangelium flogen die Melo-
dien der „Witwe" nicht bloß durch Gassen, Kneipen und Promenaden,
sondern auch durch Salons und Bürgerhäuser. Das deutsche Volk
schien in seiner erdrückenden Mehrheit einig zu sein über Hanna
Glawari. Kriegervereine wie Arbeiterbataillone ließen bei ihren
öffentlichen Auszügen durch die Musik mit Inbrunst versichern, daß
das Studium der Weiber schwer sei. Der biederste Schuster pfiff,
wenn er guter Laune war: „Da geh ich zu Maxim." Ein katholischer
Priester erzählte mir, als er in einem religiösen Verein einen Vor-
trag halten sollte, habe man die vorbereitende Weihestimmung durch
„Viljas Lied" auf dem Harmonium zu wecken gesucht, und die ent-
zückte Gemeinde habe auch noch eine Wiederholung dieser Feier-
klänge erzwungen. Vergebens forschte man nach dem Grund des
ungeheuren Erfolges in der Breite. Denn daß die Theaterauguren
an der Wien das Stück trotz seines anfänglich matten Eindrucks so
lange „forcierten", bis das Publikum dem Eindruck der Aufführungs-
ziffer erlag, erklärt noch nicht alles. So „einfach", wie man das
am Stammtisch findet, geht es in der Wirklichkeit in keinem Falle. An
vielen Orten stand man gewiß nicht im Banne des Wiener
Triumphes, und nicht jedes schwache Stück läßt sich zu solcher Zug-
kraft hinaufzwingen.

Kaum war tzanna Glawari, die lustige Witwe, darauf ausgegängen,

s. Iuniheft V08 257
 
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