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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 14 (2. Aprilheft 1908)
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Avenarius, Ferdinand: Ostergedanken
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Göhler, Georg: Missa solemnis und Neunte Symphonie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0095
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Es wird auch stets Phantasieschwache geben, die nicht fähig
sind, künstlerischen Gaben anders als mit dem Intellekt beizukom-
men — bei uns in Deutschland wimmelt's von ihnen.

Es wird schließlich stets Arme im Geiste geben, denen die
Stoffe einer großen Reihe von Kunstwerken ihrer allgemeinen oder
besonderen Bildung nach fremd bleiben müssen, weil sie beim besten
Willen das gar nicht aufnehmen können, worum sich's dreht.

Sind aber die Verhältnisse gesund, so schaden die Astheten der
Allgemeinheit nicht viel, weil sie sich für was Feineres halten. Sie
wollen ja gerade nur für sich selbst ihre Extrawürste braten und
verderben also fremde Mägen nicht.

Und die Snobs schaden nicht, denn in einer kraftvollen Kultur
sind sie Nebenherläufer, über die man lacht.

Nnd die Nüchterlinge nicht, weil sich mit Verstand alles interessant
sinden läßt, auch das Gute, und wenn das Gute obenauf ist, so
laufen sie ja eben deshalb dem Guten nach.

Nnd die Mindergebildeten nicht, weil es nicht darauf aukommt,
daß jeder Bauer den Faust und die Neunte in sich nachschafft, sondern
darauf, daß er genießen kann, was ihn zu nähren vermag.

Gewiß, all das nur unter der Voraussetzung: daß die Verhältnisse
gesund sind. Daß sie es werden, liegt nicht in der tzand von
uns Kunstfreunden allein, wir können nur mitwirken dabei. Weil
wir das immerhin deutlicher erkannt haben, eben deshalb kümmern
wir uns ja neuerdings auch brav um die andern Faktoren im großen
Getriebe. Wir Führenden müssen wieder die Welt der Erscheinung
als Ausdruck eines Zusammenwirkens von noch viel mehreren Krästen
verstehn. Dann gilt es: zu arbeiten, nochmals zu arbeiten, immer
wieder: zu arbeiten. In großer und kleiner Arbeit an tausend
Stellen. Aller Skeptizismus entbände uns nicht davon, denn ob
wir skeptisch oder vergnügt faulenzen, vorwärts kommen wir nun >
einmal beim Faulenzen nie. Aber das ist bei unsern Gedanken
das österliche: wenn wir in zwei bescheidenen Iahrzehnten um so
viel vorwärts gekommen sind, wie wir das immerhin sind, dann
wissen wir: mag der Baum auch zerbrochen oder seinerzeit gar ab--
gesägt worden sein, inderWurzellebt'snoch. A

Miffa solemnis und Neunte Symphonie

^^ief in der menschlichen Natur wurzelt die Sehnsucht nach dem
Absoluten, dem Schlechthin-Vollkommenen, dem Ideal. Auf
^^allen Gebieten verlangt sie nach einem Ganz-Großen, das alles
andere in sich schließt, einem Höchsten, an dem sich das übrige messen

läßt-

Diese Sehnsucht lebt in der schwärmerischen Liebe des Iünglings
und verklärt ihm das Bild der Geliebten; sie dichtete die Träume
von den Gefilden der Seligen, vom Paradies, sie ist die Mutter der
höchststehenden Religionen.

And doch gibt es nirgends dies höchste Ideal. Nicht einmal in
der Natur. Ein Berg ist der mächtigste eines Gebirges, der höchste
der Erde, aber ein niedrigerer kann überwältigender in den Formen

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Kunstwart XXI, sH ^
 
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