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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 17 (1. Juniheft 1908)
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Rath, Wilhelm: Umstrittene Dichter, [1]: Richard Dehmel
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0328
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Originalität erzwingen wollen. Die künstlerische Schwäche, die in
seinem Hang zum abgezogenen Reden gegeben ist, kann trotzdem nicht
geleugnet werden. Seine neue Traumdichtung „Gottesnacht" hat
das leider zwischen all ihrer virtuosen Phantastik wiederum besonders
klar gezeigt.

Anderseits ragt das Sprachkünstlertum Richard Dehmels so hoch,
daß allein schon seine Verdienste um die Weiterzerfeinerung unsrer
Sprache ihm einen Ehrenplatz in der Geschichte des deutschen Schrift--
tums verbürgen. Will man ihm ganz gerecht werden, so wird man
seine Lyrik nicht lediglich auf ihren Gehalt an enger-lyrischen Werten
prüfen dürfen, sondern dahinzu diese Wortmeisterschaft lohnen und
überdies aus der Stellung des Dichters zu seiner Zeit seine ethische
Bedeutung erkennen müssen.

Dehmel gehört der Generation, vielmehr der kleinen Vorkämpfer--
schar an, die in früher Iugend erlebte, wie der längst ausgehöhlte
klassizistische Idealismus an der neuen Eisen- und Goldzeit vollends
zerbrach,- die sich — und uns — neue Ideale, neue Formen recht
eigentlich erringen mußte und errang. Von Nietzsche zur Erden-
liebe befeuert; von der Kunst Goethes und Liliencrons einerseits,
vom romanischen Symbolismus und von polnisch-gallischem Satanis-
mus anderseits befruchtet; von Ibsens Selbstverantwortungsbotschaft
derart durchdrungen, daß er als ein lyrisches Seitenstück zu dem
nordischen Dramatiker gelten kann: so trat Dehmel mit sehr wenigen
in dis vorderste Reihe der neuen Dichtung. Nnd die Bildungs-
einflüsse alle hinderten ihn erstaunlicherweise nicht, ein Selbsteigener
zu werden: eine Persönlichkeit, an der man sich manchmal ärgern
mag, die uns aber denn doch Bereicherung, zumindest eine neue,
dunkle Melodie beschert hat. Willh Rath

Lose Blätter

Aus den Dichtungen desPrinzen EmilvonSchoenaich-

Carolath

ssPrinz Emil von Schoenaich-Earolath, der nun, scchsundfünfzig Iahre
in der Stille seines Holsteiner Herrensitzes gestorben ist, war keiner von
den Stärksten, aber einer von den Edelsten in unsrer Literatur. Wer in
seiner Prosa oder in seinen Versen liest, auch in seinen meist gerühmten
Dichtungen, der glaubt zunächst wohl auf Strecken hin, nur den Widerhall
bekannter Töne zu hören, Weltschmerzklänge, Weltwandererklänge, die
schon irgendwo um Byron herum getönt haben, vielleicht tancht selbst der
Gedanke an Pose und Dekadenz auf, nnd ein Versagen der Phantasie
läßt müde Stellen kommen, auf denen dem Nhythmus und dem Reim
das innerliche Leben ausgeht und die Prosa über die Grenzen des selbst
Gestalteten zum herkömmlichen Schriftdeutsch hinüberfließt. Liest man
sich aber in den Dichter hinein, so fühlt man nicht nur die immer zahl-
reichen Glanzstellen, so fühlt man selbst zwischen Konvcntionellem hier
unb Unbeholfenem dort einen einsamen Menschen voll heiszen Lebens
in verhaltenem Ringen mit sich selber und in stillen Kämpfen mit einer
Welt, in der er sucht und sucht und nicht klagt, wenn er nicht findet,

270__Kunstwart XXI, s7 j
 
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