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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 16 (2. Maiheft 1908)
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Avenarius, Ferdinand: Uhde
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Gregori, Ferdinand: Von deutscher Schauspielkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0249
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testantismus erleben, dann würde die neue Kirchenkunst in Achde einen
ihrer Größten sehn. Aber werde das, wie es werde: die Wahrhaftig-
keit und die Innerlichkeit in der deutschen Kunst haben zwischen
all ihren ernsten Verfechtern unter den Lebenden keinen besseren
Mann als Achde, den Entdecker des Adeligen im Alltag und Er--
heber des Ilnscheinbaren ins Adelsreich. A

Von deutscher Schauspielkunst

ersuchen wir es, in unsrer Phantasie ein stilisiertes Bild
^s^deutschen Wesens zu erwecken, zu dem ein Dutzend deutscher

Künftler und Männer ihre tüchtigsten Eigenschaften beitragen
mögen, so werden wir kaum ein Merkmal finden, das den Schau-
spieler charakterisiert; den Schauspieler wenigstens, der in der Mei-
nung des großen Publikums einer ist. Man darf bei uns mit ziem-
lich sicherem Tone sagen, daß der Italiener für die Bühne geboren
sei, der Deutsche nicht.

Entwickelt hat sich unsre Schauspielkunst unter einem doppelten
Einflusse. Die englischen Komödianten brachten Haupt- und Staats-
aktionen herüber, die Italiener ihre Lommoäia äoll' arto. Der Deutsche
lernte von beiden; und noch heute treffen wir etwas von der Steif-
heit englischer Heldenspieler bei unsern Tragödien an, etwas von der
Textlüderlichkeit und der Extemporesucht des Romanen bei unsern
Komöden. Aber weder die saftige Komik Shakesperescher Clowns noch
die bezaubernde Grazie Goldonischer Soubretten hat bei uns ihres-
gleichen gehabt. Wir nahmen das Fremde an, weil wir in dieser
Kunst noch gar nichts unser eigen nannten; aber wir vermochten den
Fremden niemals die Wage zu halten, weil unsre Stammeseigen-
tümlichkeit schließlich doch auf uns wuchtete und die vollendete Nach-
ahmung verhinderte.

Immer wieder, wenn eine schauspielerische Invasion aus dem Süden
Europas kommt, erscheinen wir deutschen Schauspieler der Kritik, deu
Zuschauern und uns selbst armselig. Einer unserer bedeutendsten Dar-
steller bekennt offen, daß er sich in der Gefolgschaft eines italienischen
Künstlers, Salvinis, fühlt. Eine völlige Sklaverei aber herrscht in
dem Bereich unsrer „Salondamen", die alle der Duse nachstreben und
sich nicht genug tun können, die feine Beweglichkeit der Italienerin
mit ungeschickter Abertriebenheit nachäffend zu vergröbern. Die schöne
innere Selbstverständlichkeit fehlt diesen Verrenkungen natürlich; es
sind Muskelkrämpfe. Der Lerntrieb des Deutschen und seine Be-
geisterung für fremdländische Dinge tragen so die Schuld an der
Zwitterhaftigkeit vieler unsrer Theatervorstellungen. Wir sind heute
zwar so weit, Dürer neben Rafsael zu sehen, Wilhelm Raabe neben
Maupassant, aber wir werden uns hüten, neben die Kameliendame
der Duse irgendeine deutsche Adelheid Runeck aus den „Iourna-
listen" zu stellen. Ist das nicht überbescheiden und ist es nicht sogar
verkehrt? So gewiß Marguerite Gauthier ein angefaultes französisches
Pflänzchen ist, das uns, wenn wir das Gewissen sragen, gar nichts
angeht, so gewiß ist Gustav Freytags gescheite freundliche Gutsbe-
sitzerin Fleisch von unserm Fleische, und Eleonora Duse wird mit

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