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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 14 (2. Aprilheft 1908)
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Göhler, Georg: Missa solemnis und Neunte Symphonie
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Anthes, Otto: Leitfaden-Kultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0104
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der Kontrabässe und Violoncelli. Das Ergreifende dieses Dialogs
kann eigentlich allen Hörern nur deutlich werden, wenn man den
Rezitativen der Bässe Worte unterlegt. Denn so „sprechend« die
Rezitative auch sind, so verstehen doch diese Tonsprache die meisten
tzörer noch nicht, wenn sie die „Neunte« zwanzigmal gehört haben.
Der Sinn der Wechselreden ist: Was ist das Leben wert? Was
bleibt von all dem Kämpfen, Ringen und Suchen? Und sie schlössen
Pessimistisch: Nichts!, wenn nicht nach all den Erinnerungen an das
Erlebte plötzlich ein Neues auftauchte: die Melodie des Liedes an
die Freude. Nnd sie führt zur Bejahung des Lebens! Man darf
diesen Freude-Begriff nicht oberflächlich nehmen. Es ist die tiefe
Freude am eigenen Leben und am Lebendigen überhaupt, die Freude
des Künstlers, des schaffenden Künstlers. Die Phantasie, die göttliche
Kraft zu dichten, Leben aus dem Nichts erstehen zu lassen, die gibt
die Möglichkeit freudiger Lebensbejahung! Die Kunst ist die Ver-
söhnerin mit dem Dasein, nicht als oberflächliches Genußobjekt, als
Gigerlmode, als Zuflucht schwächlicher Naturen, nein, — als Krone
des Lebens, als höchstes Ziel, als Lohn, der dem winkt, der sich zu
ihr durchgerungen hat.

Kann es eine größere Lebensauffassung geben? Aus eigener Kraft
Herr zu werden, als schöpferischer Künstler Ia zu sagen zum Leben?
Sich auseinandersetzen mit aller Not des Lebens, kämpfen, wirken,
tätig sein, und trotz aller Gemeinheit, trotz allem Iammer, trotz
Plebejer- und Philistertum, Oberflächlichkeit, Heuchelei, Roheit, trotz
allen Niederlagen, Wunden und Schmerzen, sich seine eigene könig-
liche, göttliche Welt aufbauen, sich seiner Würde bewußt sein und
in innerer Einheit mit aller Natur, mit allen großen Geistern, mit
allem, was die tiefste Seele liebt, jubeln und jauchzen: „Freude,
schöner Götterfunken."

Nicht Hoffnung aus jenseitiges Glück, kein Pessimismus wie am
Ende der Uissa, kein resignierendes: „Es ist alles eitel!", sondern
grandioser, weltumspannender künstlerischer Optimismus, der geboren
ist aus der tiefen Verachtung der großen Gemeinheit der Welt, aus
der siegreichen Äberwindung ihrer Tücken und dem selbstherrlichen
Bewußtsein des ganz großen schgffenden Künstlers, der mit seiner
Phantasie Sterne und Welten umschlingt und mit Millionen Stimmen
feuertrunken den großen Freudenhymnus des Lebens singt!

Georg Göhler

Leitfaden-Kultur

^q^n meinem Zimmer hängt an der Wand eine alte Gitarre. Ein
^^Bekannter, der mich zu besuchen kam, blieb davor stehen, sah sich
^)das Ding eine Weile an und sagte dann: „Ia — ganz nett. —
Aber eine Mandoline ist dekorativer." — „Aber lieber Freund,"
wandte ich ein, „ich spiele doch die Gitarre." Mein Bekannter
indes blieb dabei: „Das mag ja sein, ist aber ganz gleich. Man-
doline ist dekorativer."

Daß die Leute von der Möbelkultur schon wieder anfangen
stutzig zu werden, ist eine Tatsache, die man auf Schritt und Tritt
feststellen kann. Die Sache ist zu schnell ins Publikum gedrungen,

2. Aprilheft M8

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