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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 16 (2. Maiheft 1908)
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Gregori, Ferdinand: Von deutscher Schauspielkunst
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0254
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tzüter und der andern bewußt werde, sondern darauf, daß sein Werk
rein genug erscheine, um nachher ihrer wert zu sein. Der nunnrehr
achtzigjährige Baumeister hat sich sein Lebelang nicht mit Kunstbe-
trachtungen abgequält (er war auch kein Brüller und tat nie ge--
bildet), aber sein „Erbförster", sein „Götz" können vor aller Welt
und sogar vor der Nachwelt gelten, weil sie ganz und gar naiv und
keusch, klar und doch nicht geschwätzig waren. Ieder Abiturient des
Pariser Konservatoriums ist diesem Manne vielleicht in der Behand--
lung der Sprache und des Sprechens überlegen und wagt wohl gar
über die körperliche Anbeweglichkeit dieses herrlichen „Klotzes" zu
lächeln, aber ein Lachen, ein schluchzender Laut, ein stummer Blick
des alten Herrn durchschüttelt uns heftiger als der gesamte, mit Aus--
zeichnung angeeignete Lehrstoff eines französischen Tragöden. Ich
will damit nicht die Notwendigkeit der Schauspielerschule leugnen
(ich leite selbst und aus freien Stücken die des Wiener Konservato--
riums), ich will nur festlegen, was mir wichtiger dünkt. Lieber ein
plumper Hans Sachs sein, so wie ihn Goethe sah und besang, als
ein Doppelgänger des eleganten und amüsanten Herrn Lebargy —
wenigstens so lange man Deutscher ist und so lange unser Publikum
auf unsern Bühnen unsere Dichter noch zu Worte kommen läßt.
Wien Ferdinand Gregori

Lose Blätter

Aus Emil Straußens „Hochzeit"

(Im ersten Februarhefte hat Friedrich Düsel von den seltsamen Er-
lebnissen berichtet, so zwei einigermaßen ungewöhnliche Alemannen-
sprossen, Herr Bartel Rod, seit kürzestem Or. meä., und Fräulein Emma
Aing, seit gestern verehelichte Frau Liesegang, seit heute Braut des
ebengenannten tzerrn vr. Rod, bei ihrem Abstecher aus der Heiden-
höhle am Bodensee nach Berlin ebendaselbst bei Reinhardts „Kammer-
spielen" fanden. Äbrigens nahm sie das Publikum selbst gar nicht so übel
auf, es klatschte und freute sich — nur leider am nächsten Morgen erfuhr
es aus „seinen" Zeitungen, daß es das Stück unter Hohngelächter bc-
graben habe, und dieses mit vollem Recht. Bald darauf reisten vr. Rod
nnd Frau Emma Liesegang wieder ab. Sollten wir sie nicht doch ein-
laden, noch einmal zu uns zu kommen?

Ohne Umschweif gesagt: ich bin der Meinung, daß sich bei dieser Ge-
legenheit nicht Emil Straußens Stück „Hochzeit", sondern die witzige
Theaterkritik einigcrmaßen bloßgestellt hat. Kein Mensch wird ihr das
Recht bestreiten, alles, was sie von Fchlern nur sieht, an Straußens,
wie an jeder andern Dichtung auszusetzen, denn auf dem Parnaß ist wie
auf allen Bergen frische und kräftige Luft zuträglicher fürs Land, als
weiche. Aber ihre Pflicht war doch wohl, neben dem, was ihrer Meinung
nach Unwert war, auch die Werte herauszuheben. Natürlich nur, wenn
sie überhaupt Werte darin sa h. Sah sie aber bei cinem Wcrke wie
Straußens „Hochzeit" keine, so errcgt das dcn Verdacht, daß sie manche
nicht seheu kann, weun sie außerhalb des Ausschnitts liegen, auf den
hin ihr Operngucker festgeschraubt ist. Operngucker festzuschrauben ist nicht

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