Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1908)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0127
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Allgerneineres

Den letzten Wert mußt du dir selber geben,

Der solche Taten adelt. Wachs hinaus,

Sei edler, besser als die Menschen sind,

Dann werden Enkel deine Herrschaft preisen! —

Shusai: Der liebste Freund, ich kann ihn nie vergessen! —
(Er sinkt schluchzend an der Bahre nieder.)

Rundschau

Die künstlerische Größe
und das „Genie"

s wäre ein hübscher Vorwurf
für einen Privatdozenten, ein--
mal nachzuspüren, woher den Deut-
schen die schauerliche Vorstellung
des „Genies" gekommen ist, die den
jungen Dichtern und Künstlern
ihren Lebensgang verpfuscht und
dem Urteil der Menge (die Presse
nicht ausgeschlossen) den Blick für
die ruhige schlichte Grötze ver-
schleiert. Ich meine den gewittern-
den titanischen weltenstürmenden
Blasewicht, der seine dämonische
Aberlegenheit dadurch bekundet, daß
er Gesetz und Regel verachtet, alle
Formen „sprengt", die Vollendung
belächelt, dionhsisch herumfuchtelt,
alles verspricht und nichts kann;
ich meine die Meinung, Aufleh-
nung, Verstöße und Verirrungen
wären Erfordernisse, Krankheit und
Wahnsinn Zeugnisse der Größe. Ich
glaube hier ein verspätetes Echo
aus der Byronschen Periode zu
wittern. Wie dem auch sei, eins
ist sicher: die echte Größe und das
„Genie" silld wurzel- und wesens-
verschieden, mehr noch: sie siud
einander spinnefeind. Der wahr-
haft große Künstler betrachtet solch
ein „Genie" als ein elendes lächer-
liches Subjckt, wie ich denn noch
keinen einzigen bedeutenden Men-
schen gekannt habe, der dtese Spe-
zies nicht von ganzem Herzen ge-
haßt und verachtet hätte. Natür-
lich, denn das Verhältnis der
Großen zu ihrer Kunst ist ein

demütiges, ehrfürchtiges und sorgen-
volles; ein Kerl, der da launisch,
prahlerisch und frivol mit der
Kunst umspringt, ist ihnen einfach
ein Fastnachtpeter, der aus dem
Lempel hinausgehört, so unsanft
wie möglich. Mit einem wackern
„Philister", also z. B. einem ehr-
lichen Kaufmann oder fleißigen
treuen Handwerker, kann das wirk-
liche Genie, also der große Künstler
erholungsweise umgehen — der
dumme Standeshochmut der kleinen
Künstler, die den „Philister" ver-
höhnen, geht ihm ja ab, da er auch
im „Philister" den ehrlichen Arbeiter
achtet — mit einem „Genie" sisht
man keinen verkehren. And die
lächerliche Pose der Titanei! Hat
man jemals einen Großen sich tita-
nisch fühlen und gebärden gesehen?
Ltwa Beethoven? Der uns doch als
Oberster der Titanen gilt? Oder
gar Goethe, dessen Umstempelung zu
einem Titanen geradezu eine literar-
historische Lüge enthält? Was dann
die Verirrungen und Verstöße, die
seelischen Krankheiten bis zum
Wahnsinn betrifft, so ist richtig, daß
wohl keiner nicht daran gestreift
hätte, denn das sind eben Be-
rufskrankheitcn, allein es ist weder
wünschens- und lobenswert, noch
erforderlich, daß einer unterliege,
es ist vielmehr ein erhebendes
Schauspiel, wenn einer nicht unter-
liegt. Entschuldigung für Schwä-
chcn und Verirrungen, Mitleid und
Andacht vor Krankheit und Um-
nachtung, ja, aber Verherrlichun-

(00

Kunstwart XXI, (H
 
Annotationen