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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 21,3.1908

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Heft 18 (2. Juniheft 1908)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7706#0407
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gang, die den Kern bilden, deutet, sieht er ein ganzes Seelenleben und
ein leibhaftes Leben oder einen kulturhistorischen Bezirk dazu.

Beispielsweise, der Dichter besitzt (als Fund oder als eignes Erzeugnis
seines Knnstverständnisses) diese Anekdote: Als Meister Grupello sein
schönes Neiterstandbild des Kurfürsten Ian Wellrn in Düsseldorf geschaffen
hatte, da suchten höfische Gecken albern sein Werk vor dem Auftraggeber
zu verkleinern. Der Bildhauer tat, als wolle er dem Tadel nachgeben,
baute einen Verschlag um sein Denkmal, schuf darin eine Zeitlang ge-
räuschvoll, führte darnach das Werk als gehorsam verbessertes dem Kur-
fürstenhof vor, erntete nun groß Lob der Schranzen, beschämte sie aber
mit der Mitteilnng, daß nichts geändert sei und daß Guß überhaupt beim
erften Hammerschlag springen würde. Oder nehmen wir die Bemerknng
des rheinischen Pfarrers Reuter: von Wegesnöten erschöpft, findet er
das Konsistorinm, das ihn vorgeladen, beim Wein; er wird zum Sitzen
und Warten, doch nicht zum Mittrinken eingeladen; auf die müßige
Frage eines von diesen kneipcnden Gerichtsherren nach Neuigkeiten ans
dem Pfarrdorf erwidert Renter, eine Kuh habe fünf Kälber geworfen;
und da der andre erstaunt fragt: „Eine Kuh hat nur vier Strichl Was
soll das fünfte machen, wenn die andern trinken?" da antwortet der
Pfarrer verschmitzt, indem er näher gen den Weintisch rückt: „Es sitzt
dabei, wie ich."

Daraus werden bei Schäfer zwei reizende kleine Erzählungen, die
wiederum nichts Äberflüssiges enthalten, aber das eine Mal das kleine
Altdüsseldorf samt seinem nnbedeutenden kurfürstlichen Poseur, seinem
Markt, die Hofleute und den Künstler-Charakterkopf znm Greifen zeigen,
das andre Mal ein rauhes Dorfpfarrerleben von thpischem Wert dem
wertlosen Mnckertum wirksamst entgegenstellen.

Wie hier ist fast in jedem Stück ein mehr oder minder beherrschter
revolutionärer Unterton. Und das scheint mir grundsätzlich den Reiz von
Wilhelm Schäfers Weise zn bedenten: in der Tiefe schwingt etwas Dämo-
nisches, wie eine Drohung volkstümlicher Urkraft, und darüber liegt ein
starr bändigenüer Stilzwang.

Einige werfen diesem Stil vor, er sei allzn gekünstelt altertümelnd.
Für einzelne Stellen mögen sie recht haben, auch scheint mir hier und
da der jambische Rhythmus über Gebühr Gastrecht in der Prosa zu be-
ansprnchen, wo er doch nie als bewußt anwesend erscheinen darf. Aber
im ganzen kann ich gegen diese sorgsame getriebene Arbeit nichts ein-
wenden, zuvörderst weil sie offenbar dem Mann gemäß ist und keine raum-
raubenden Schnörkel macht, sodann weil gegenüber unsrer grauenhaften
Deutschverwüstung durch den bureaukratisch-krämerisch-journalistischen All-
tag lieber ein bißchen zu viel als zu wenig an künstlerischer Sprachzucht
geschehen soll. Willh Rath^j

Die Frau von Stein

uf Stein bei Nassau lebte die Herrin der Burg in ernstem Witwen-
I tnm und hatte ihre Söhne so trefflich aufgezogen, daß sie um ihrer
ritterlichen Sitten geachtet waren überall. Auch ihre Töchter
waren wohlgeraten, so daß zur rechten Zeit sich Ritter fanden, die sie
auf ihre Vurgen holten und wohl beraten waren. So kam es, daß
am sechzigsten Geburtstag einer so beglückten Mutter sechs Ritter auf

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