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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Avenarius, Ferdinand: Schneegestöber
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0016
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Iahrg. 24 Erftes Ianarheft 1911 Heft 7

Schneegestöber

^^onas Lies „Heilseher" fängt mit einer hübschen Schilderung an:
^^wie's auch gesetzte Bürger und Ehemänner wintertags an den
^lhafen treibt, wo der Sturm rumort. Sie entschnldigen solch un--
vernünftiges Beginnen vor sich selbst mit der Sorge, was etwa der
Stadt für Rnheil entstehe, im verschwiegenen Innern jedoch freut sie
das ungebührliche Iohlen und Toben, wirklich: es sreut sie geradezu.
Denn, meint der Poet, im Winter kommt die verjagte Natnr mit Ho
und Hallo wenigstens zu Gastbesuchen in die Zivilisation, und weiß
der Himmel: irgendwo ist in uns trotz aller Gebildetheit immer noch
was, das sie leiden mag. Lies Beobachtung gilt gemildert auch sür
uns Süddeutsche noch. Wie nnr der Augenschwache das „schöne"
Wetter schlechtweg fürs schönste hält, so hält nur er die grüne Iahres-
zeit schlechtweg für die schönste. llnd es ist nicht bloß mit „Glitzer-
schnee", daß der Winter sich „Putzt", er formt auch mit dem mild
leuchtenden Weiß und nicht minder mit seinem Grau. Schon die naß-
fröstlichen Novembertage können draußen im Freien wundervoll, das
heißt: voll von Uugeahntem für den Städtling sein, und der Großstadt
selbst eine Ruhe, eine Größe und einen Ernst geben. Nicht einmal
Straßen voller Gegenbeispiel-Mietkasernen widerstehen dem ganz,
wenn nur der Winter zwischen den Mauern Platz genug hat, um seinen
Dustmantel in der Luft schleiern zu lassen. So kommt auch in deutsche
Straßen mit dem Winter ein kräftiger Hauch der ursprünglichen Natur.
Nicht gar weit vor den Toren — ach, noch immer wissen nicht gar so viel
Leute, wie schön es da im Winter ist! Ich meine: nicht bloß an sonni-
gen Winter-, nicht bloß an Silbertagen, und meine: auch außerhalb der
Sportplätze. Auf diesem Wege da am Fluß entlang, der sommers eine
überwimmelte Promenade ist, während jetzt in den dunkeln wogenden
Nebeln nur drei Sonderlinge stündlich vorüberstapfen. Oder auf den
Hügeln, wo man sommers tagtäglich um jede Wirtschaft Familien-
kuchen ißt, während man jetzt nur an Sonntagen drin was Gutes be°
kommt. Oder auf den grünen Bergen weiter draußen bei den Meisen
und Kreuzschnäbeln, wo die Waldpfade fußspurenlos im Schnee liegen.
Von den Schönheiten in den weiteren Ringen gar nicht zu reden. Von
denen der Alpen nicht, der Mittelgebirge nicht, auch von denen der See-
küste nicht, wo strammen Winters mit Schollengetürm die Polarwelt
ihre Reisezelte baut, begleitet von dem erstaunlichen nordischen Vogel-
zeug, das sich auch mal über deutsche Verhältnisse unterrichten will.
„Wie, und der Sport? Heißt es nicht Skie nach Sankt Moritz tragen,
wenn man heutzutage zu Winterreisen aufmuntert?" Ia, das heißt
es. Nnd eben darum scheint mir diese kleine Betrachtung doch
nicht ganz unzeitgemäß. Denn ich wünschte: Sportfahrten und Winter-
reisen betrachtete man nicht ganz als dasselbe.

Wobei ich wohl nicht erst zu Verwahrungszwecken an die alte
Sportfreundlichkeit des Kunstwarts erinnern muß — Gott erhalte
und segne unsern Sport, ohne den wir unzweifelhaft in mehrerlei

j. Ianuarhest ltzst

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