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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0062
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,Ia, die Hauspriester erteilen ihm soeben die letzte Segnung," lautete
des Bruders langsame Antwort, „aber er hat die Sprache schon verloren."

„Vermochte er nichts zu sagen?"

Magnus schwieg.

„Aufrichtigkeit, Aufrichtigkeit, Magnus! Warum antwortest du mir
nicht? Du merktest, daß er etwas sagen wollte, und da beugtest du dich
hinab, — nicht wahr? So muß es zugegangen sein/

„Ich versuchte das Ohr an seinen Mund zu drücken, und da kam es,
aber so schwach wie ein weitentferntes leises Flüstern weit unten aus
bem Grund einer Grube."

„So sage es doch!"

„Er redetc irr."

„Gleichviel; ich will das Wort wissen."

„Ist dies unwiderruflich dein Wunsch, Valdemar?"

„Unwiderruflich."

„Nimm das Reich!" flüsterte er.

Valdemar ließ den Pfosten fahren und stand atemlos. Alles wurde
Plötzlich vor ihm zu Nebel, und er ballte die Hand um die Stellc seines
Mantelzeugs, wo sonst das Schwert zu sitzen pflegte.

,Und was antwortetest du, Bruder . . . geliebter Bruder?"

„Ich antwortete: Gesetz und Recht darf keiner brechen. Die Krone ist
Valdemar, und ich will sie auf seincm Haupte festhalten. Gott sei meiner
Seele gnädig. Möge ich sonst auf Erden einer der ewig Verdammten sein!"

„And der Altc, was tat der Alte?^

„Er schlug die Augcn auf und segnete mich. Halte Wort! lispeltc
er. Dann verlor er die Sprache."

Valdemar schüttelte das Haar wie ein Schiffbrüchiger, wenn er den Fel°
sen unter dem Fuße fühlt, aber noch nicht denken und klar sprechen kann.

„Kindchen . . . bist du noch hier?" fragte er wirr. „Wiewohl ich
mitten im Mondschein stehe . . . ich kann weder Türe noch Schloß finden."

Iutta tastete zitterird auf den splittrigen Pfosten umher, ohne zu sehen,
wo der Schlüssel blinkte. Endlich sticß sie mit dem Ellbogen dagegen und
schob die Türe vor Valdemar auf.

Rundschau

Vom Bibellesen

Gedanken cines Nicht-Kirchlichen
<^ch kenne gute, kleine Privat-
()büchereien, in denen die Bibel
fehlt. Ich kenne auch solche, in
denen sie enthalten ist, aber nur
als Einband und als bibliographi-
sches Erzeugnis. Wie ist das Ge°
fühl der Büchcrliebhaber und Bü-
cherleser dcr Bibel gegenüber bc-
schaffen? Sonderbar genug. Einc
Bücherei, in dcr Goethes Werke
fehlen, gilt fraglos nicht als voll-

ständig; denn ein „Gebildeter", der
Goethes nicht als seines ständigen
Bildners, Arztes, Zeichendeuters
und Freudebringers bedarf, wird
kaum als vollwertiger Bürger
unsres Kulturkreises angesehen. Dic
Bibel aber darf in einer Bücher-
sammlung fehlen. Im Gegenteil,
wo sie bei einem Nichttheologen
im Bücherschrank auftaucht, heißt
es fast immer mit einem leichten
Anflug von Staunen: „Ach, da
! haben Sie ja auch die Bibel!"

l- Ianuarhest IM


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