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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 10 (2. Feburarheft 1911)
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Ullmann, Hermann: Die Gebildeten und das Volk
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Stadelmann, Heinrich: Das Pathologische im Kunstwerk, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0293
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ihren Institutionen alles Heil zu erwarten, ihr alle Verantwortung
zuzuschieben und damit die Grundlagen aller Kultur zu verlieren.
Erst die bereichernde Ersahrung, daß da, wo wir nur Klasse, Partei,
Masse gesehen hatten, lebendige Persönlichkeit wirksam ist und ebenso
auch von uns gefordert wird, nur sie vermag uns aus dieser dumpfen
Geistes- und Gefühlshaltung zu retten, in die wir um so mehr zu
versinken sürchten müssen, je vollkommener das mcchanische System
unsrer Arbeit sich gestaltet. Und auch von hier aus wird es deutlich:
will unser deutsches Kulturleben nicht in eine verderbliche Sackgasse
geraten, so bleibt kein andrer Weg als der schmale, der durch ein
innerlich erlebtes, gegenseitiges soziales Verständnis
hindurchführt. HermannUllmann

Das PaLhologische im Kunstwerk

(Schluß)

3. Das Patholozische im Kunstwerk*

^m^ie pathologischen Elemente Illusion und Halluzination sind in der
>-H»1bildenden Kunst und in der Dichtkunst zu finden; ganze Kunstwerke
bauen sich auf ihnen auf.

Die Bilder Alfred Kubins bcispielsweise sind reich an illusio-
nären und halluzinatorischen Gestalten. Aus nächtlichem Dunkel streckt
sich ein langer Hals, der einen Lotenkopf trägt; dieser Totcnkopf hat
Augen; das eine ist wie im Sterben geschlossen; aus der andcrn Augen-
höhle ist ein mächtigcr Augapfel hervorgequollen. Dcr Hals mit dem
Totenkopf taucht zugleich mit einer Woge empor und shmbolisiert das
„Grauen" der Schiffbrüchigen, deren Schiff mit dem abgcbrochenen Mast
rettungslos dem Untergange verfallen ist (vgl. Kw. XVI, st und XX, H).
Wollten wir eine kurze Analhse dieses Bildes geben, so müßten wir sagen,
daß die einzelnen Teile dieser Vision, der Hals, der Totenkopf, das ge-
schlossene Augenlid, der Augapfel usw. in Wirklichkeit alle vorkommcn;
allein nicht in dieser Zusammenstellung. Das Auseinanderlegen von
Gruppen seelischer Bilder und ein erneutes Zusammenschließen ihrer
Elemente erzeugte diese Vision in der Künstlerseele. Dabei werden die
gegenseitigcn räumlichen Vcrhältnisse nicht stets in ein Gleichmaß ge-
bracht. Der aus dcr Augenhöhle hervorgequollene Augapfel zum Beispiel
hätte nicht Platz in dcr Schädelhöhle. Aber solche Mißverhältnisse dürfcn
nicht nach der formalen Seite hin beurteilt werden; sie gehören zum
Wesen der Sache und erhaltcn durch diescs ihre Nechtfertigung und
Berechtigung.

Eigenartige Gcstalten hat Wilhelm Doms gezeichnet. Vicle von
ihncn sind von Illusionen ausgegangen. Teile verschiedcncr Tiergestalten
binden sich zu ncuen Ausdrucksformen für ein Gefühl. Pflanzen er-
innern in ihrer Haltnng an Bewcgungen der Tiere; Tier- und Pflanzen-
bildcr gehcn ineinander über, um eine neue Erscheinungsform zu zeigen.
Bilder aus den Provcrbios und den Capricchios von F. dc Goha
bestehen gleichfalls aus solchen „Visionen".

* Vcrgleiche Stadelmann: „Die Stellung der Pshchopathologie zur
Kunst" (R. Piper L Co., München)

Februarheft (M

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