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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1911)
DOI Artikel:
Stadelmann, Heinrich: Das Pathologische im Kunstwerk, [1]
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0214
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oder wemr es völlig umgeschlagen ist in die Verncinung des Lebens
und der Dinge in der Welt, erst dann erscheint es gewöhnlich auch
dem Laien als krankhaft. Das Äbermaß der Lust jedoch ist ebenfalls
pathologisch. In den Stimmungen wird dies deutlich. Es gibt eine
pathologische heitere Verstimmung, wie es eine traurige Ver-
stimmung gibt; die eine nennen wir Manie, die andre Melancholie.
Wie in der Melancholie der Mensch die Welt gleichsam durch eine
dunkel gefärbte Brille sieht, sieht er sie in der Manie gleichsam in
rosenfarbenem Lichte. Heinrich Stadelmann

(Schluß folgt)

Lose Blätter

Das Selbstbildnis Lilienerons

Zu seinen Briefen

sDer Dichter Detlev von Liliencron hat ganz gewiß in seinen Werken
jederzeit sein Wesen freimütig znr Schau gestellt. Das machte ja gerade
den stärksten Reiz dieser Dichtungen aus nnd schnf ihnen auch wieder
nach außen hin, besonders im Anfang, die ärgste Hemmung. Wie gnt
glaubten wir die Persönlichkeit des Dichters aus seinen Büchern erkannt
zu habcn. Und wir müssen nun nachträglich gestehen, daß er sich doch
immer in merklicher Entfernung hielt! Denn in seinen Bricfen erst,
die seitdem erschienen sind, haben wir sein „sprechcnd" ähnliches Selbst-
bildnis.

„Ich sage immer: wenn das Volk (dies Volk? na na!) die Liebesbriefe
seiner cchten Poeten sehen würde, da hätte es die höchste Poesie . .

So schreibt Liliencron einmal an Dehmel, nachdem er einen „bransenden
Waldbachbrief" von diesem empfangen. Man darf das erweitern: alle
Briefe, die ein echter Dichter aus bcwcgter Stimmung heraus schreibt, sind
echte Poesie unü können höchste Poesie sein. Es ist ja hicr wie dort, in
Briefen wie in Gedichten, derselbe Äbcrschuß an Empfindnngskraft. Was
in dem privaten Gefühlsausdruck an besonnener Formung etwa verloren
geht, das wird oft durch verlustlose Frische oder Glut des Herzenserleb--
nisses reichlich wettgemacht.

Außerdem: dieseu sonderbaren Menschen, den Dichtern, ist die unglaub--
liche Gabe verliehen, selbst im unmittelbaren Niederschreiben leidenschaft-
lichen inneren Erlebens selten der Formung ganz zu vergessen. Ähnlich
wie Shatespere-Hamlet es vou den Schauspielern fordert: „Mitteu in
dem Strom, Sturm uud, wie ich sagen mag, Wirbelwind eurer Leiden-
schaft müßt ihr euch eine Mäßigung zu eigen machen, die ihr Geschmeidigkeit
gibt." Von Liliencrons Briefen ist allerdings zu melden, daß sie größten-
teils von dem Recht des persönlichen Bekenntnisses Gebrauch macheu,
mehr Sturm als Mäßigung zu zeigcn.

Dabci sind die gesammelten Briefe, die man jetzt der üffentlichkeit frei-
gegcbeu hat, der Zahl nach nur eine höchst bcschcidenc Auswahl aus einer
unübersehbaren Menge. Aus 2(000 Schriftstückcn hat Richard Dehmel,
der Testamentsvollstrccker des toten Frcundcs, die zweibändigc Sammlung
„Ausgcwähltc Briefe" bei Schuster L Löffler iu Bcrlin heraus--

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Kunstwart XXIV, 9
 
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