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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 8 (2. Januarheft 1911)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0155
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der Kellertreppe aufgestellt. Verbeugt sich und weist mit vornehmer, ein-
ladender Handbewegung dem Fürsten den Weg zur Mauernische): Scid
willkommen! Tretet cin! (Fürst und Gesolge schreiten, während Rauschen-
plat sanft zur Seite geschoben wird, die Stufen hinab.)

Rauschenplat (sucht, wie ein Geiziger, der seine Schätze vor frem-
den Blicken schützen will, den Fürsten und sein Gcfolge zurückzuhalten):
Morsch ist Stuf' und Stein! Ihr brecht Luch Hals und Bein!

Mutter (am Fuß der Kellertreppe zum Empfange bereit; ohne
den Fürsten je voll anzusehen): Seid willkommen! Tretet ein! (Während
Fürst und Gcfolge vorsichtig, Stufe für Stufe abwärts schreiten) Hab' Euch
erwartet manch' Tag und Nacht! Endlich habt Ihr Luch aufgemacht!
Der weiße Zelter wird (deutet gcgen das Kellerfenstcrchen hinauf) oben an
der Straße harren . . . (Lauscht einen Augenblick, dann befriedigt nickend)
Mir dünkt, ich hör' schon sein Hufescharren! (Geleitet den Fürsten und
das Gefolge gegen die Mauernische.)

(Fürst eilt den anderen voran der Nische zu.)

Rauschenplat (sucht vergebens, ihm und dem Gefolge den Anblick
von Dolf und Bäschen zu verwehren. Flehend): O! Seht nicht hin! Was
Ihr mit Euren Augen seht, ist nicht mehr rein!

(Fürst und die Damen stehen neugierig um die Nische herum, vor
welcher Dolf, vor Bäschen kniend, in heiliger Lhrfurcht, wie verzückt,
wunderschön geigt, währcnd Bäschen, ebenso der Außenwelt entrückt, wie
eine kleine Madonna im Armstuhl sitzt.)

Ranschenplat (abseits stehend): Ich hatt' mein Glück so ticf vergraben!
Ietzt ist es auf den Markt gestellt! (Die Tänzerin, sowie die hraune und
schwarze Schöne haben ihre Lorgnons gezogen und betrachten Dolf und
Bäschen in sehr weltlicher Aeugicrde von allen Seiten; flüstern und lächeln.)
(Musikus taucht im Kellereingang auf. Musikus, auf der Kellerstufe
stchend, wischt sein Lorgnon umständlich rein und bcsieht sich gemütlich,
kühl prüfend die Szene.)

Rundschau

„Ganze Menschen"

(?>er Iurist: Was mich veran-
^Aaßt, derartige Anschauungen
ein für allemal abzulehnen? Sie
gehn mir wider die Natur. Soll
ich versuchen, diese elementare Ab-
neigung zu analhsieren?

DerLehrer: Tun Sie's! Sich
andern klarzumachen, scheint mir
wenigstens nicht bloß für uns Leh-
rer eine Pflicht. Ich meine, wenn
jedcr, der an unsrer Kulturgemcin-
schaft mitarbeitet, sich auch vcrständ-
lich zu machen sucht, so kann das
manchen unsrer Kulturschäden ver-
hüten oder mildern.

Der Iurist: Sehen Sie: dieser
Meinung bin ich nun gar nicht.
Und hier könnte ich ja vielleicht be-
ginnen: warum sich allen ver-
ständlich machen? Oder nur vielen?
Ihr alle von der andern Seite, ihr
„Idealisten", ihr verlangt zuviel von
den Menschen und von euch und
traut euch und den andern zuviel zu.

Der Lehrer: Die Lbner sagt
einmal: „Man muß Außerordent-
liches wollen, um etwas Ordent-
liches zu leisten." Ich weiß nicht,
was ein Erzieher Besseres tun
könnte, als von den Menschen
Außerordentliches verlangen.

2. Iannarheft lM

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