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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1911)
DOI Artikel:
Gürtler, Franz: Deutsches Theater und "Deutsches Theater"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0113
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Iahrg. 24 Zweites Ianuarheft 1911 Heft 8

Deutsches Theater und „Deutsches Theater"

den stattlrchsten Namen getragen, schwebt jetzt ein Aufruf
( durch die Welt: Volksfestfpiele zu begründen als dauernde
Frucht des Versuchs, den Max Neinhardt mit seiner Aufführung
des „König ödipus" erfolgreich durchgeführt habe. Zum ersten Male,
so sucht der Aufruf die Vorzüge des Nnternehmens ins Licht zu setzen,
sei hier die erträumte Möglichkeit einer monumentalen Schaubühne
Wirklichkeit geworden und habe eine aus allen Bevölkerungsschichten
zusammengesetzte Zuhörerschaft „atemlos" unter dem Eindruck des
antiken Dramas gestanden. In der Zeit politischer Gegensätze solle
hier auf dem Boden der Kunst eine Art Ausgleich entstehen, solle das
Beste, was wir zu geben haben, billig zu einer Sache des Volksganzen
gemacht werden.

Auch wer gar nicht geneigt ist, Theaterfragen mit Kulturfragen
zu verwechseln, wird bei dieser Gelegenheit aufhorchen. Wo Ahn--
liches bisher geplant wurde, ging es gemeinhin an mangelnder Teil-
nahme oder halbguter Durchführung zugrunde. Nun scheint das
größte und schwierigste Anternehmen derart zur Tat zu werden,
das „Theater der Fünftausend« unter Max Reinhardts Leitung. Es
liegt nahe, daß man nun, wo diesem Künstler eine so wichtige
nationale Sache anvertraut werden soll, — es liegt nahe, daß
man da fragt, was denn nach seinem bisherigen Wirken von ihm er-
wartet werden kann. Dies bisherige Wirken hat ja die öffentlichkeit
lange und ausgiebig beschäftigt. Reinhardt, der Chef der unruhigsten,
gastspiel- und reformfreudigsten Bühne des Reichs, der kühne und
extravagante Neuerer, wer hat von ihm nicht gehört, wer weiß nicht
wenigstens andeutungsweise, welcher Art sein künstlerisches Ziel ist?
Sein künstlerisches Ziel . . . hier stock ich schon. Reinhardt hat es
uns in den letzten Iahren nicht leicht gemacht, an ein eigentlich
künstlerisches Wollen bei ihm zu glauben. Mit einem Satz gesagt:
was er auch aufstellte, mehr und mehr erschien es als Bereicherung
des Theaters, als Experiment eines Regisseurs, dem der Direktor fehlte,
als technischer Aberschwang, und immer seltener als eine Förderung
des Kunstgenusses im höheren Sinn. „Im höheren Sinne" vielleicht
nur für uns, denen das Theater noch immer als eine Kunstanstalt mit
dem obersten Zweck gilt, dichterische Werke zu vermitteln; es ist
aber doch wirklich nicht anzunehmen, daß die Anterzeichner jenes
Aufrufs anders denken, daß es ihnen insbesondere für unser Volk
nicht um die Vermittlung unsrer Dichtung, sondern um die von
Theaterkunst als solcher zu tun sei. Uns will nun scheinen: je
weiter sich das Berliner Deutsche Theater und die Bühnen, auf die
es einwirkt, entwickeln, um so ferner kommen sie jenem höchsten
Zweck, um so unverhüllter bieten sie statt der Kunst, um deretwillen
sie wohlgelitten sind, „Theater", deutlicher gesagt Theatralik.

Was ist „Theater" (mit Anführungszeichen) im Theater? Nach
unsrer Voraussetzung alles was auf der Bühne wirkt, aber nicht dern

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