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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1911)
DOI Artikel:
Gürtler, Franz: Deutsches Theater und "Deutsches Theater"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0114
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dichterrschen Werk zu vertieftem Eindruck hilft. Man sieht, die soge-
nannten „Auswüchse der Regie" sind gemeint, von denen ein selbst-
herrlicher Regisseur nie etwas wissen will, die in ihrer scheinbaren
Äußerlichkeit auch meistens als läßliche Sünden erscheinen und in
ihrer Gesamtheit doch bedeutsame Folgen nach sich ziehen. Von
einigen Außerlichkeiten sei also zuerst die Rede. In seiner Aufführung
des „Faust" ließ Reinhardt den Erdgeist durch ein luftbewegtes rotes
rotierendes Tuch darstsllen, meines Wissens auf englisches Beispiel
hin. Das Ding machte einen Lärm wie ein größerer Ventilator, und
wer's noch nicht gesehen hatte, zerbrach sich noch unter dem Klang
der Osterglocken den Kopf, wie das wohl gemacht sei. Von der Rätsel-
haftigkeit des Erdgeistes leitete es das Interesse auf die Rätselnatur
dieses technischen Tricks ab. Ein andres Beispiel: in „Der Widsr-
spenstigen Zähmung" ließ man am Schluß, wo Petruchio für seine
Gattin Hüte anschleppen läßt, die sie nicht wirklich bekommen soll,
die einzelnen Schachteln aufeinandersetzen, so daß die Darstellerin
von Schachtel zu Schachtel klettern mußte, um in die jeweils oberste
zu blicken. Ein Akrobatenkunststück, das von dem Sinn der Be-
gebenheit durchaus ablenkt und schließlich mit dem Fall einer Dar-
stellerin endete. Es liegt mir nun fern, hier nachträglich Max Rein-
hardt seine schlechten Inszenierungswitze vorrechnen zu wollen; ich
gehöre überhaupt nicht zu seinen Gegnern, ich weiß, wieviel wir ihm
verdanken. Aufführungen wie die der „Hochzeit" von Emil Strauß,
des „Sommernachtstraums" und selbst der „Iudith" rechne ich, alles in
allem, mit zu dem Besten, was auf deutschen Bühnen überhaupt je er-
schien. Was mich aber gegen seine Prinzipien und, wie gesagt, dann
und wann gegen seinen Kunsternst bedenklich stimmt, ist vor allem
gerade die vielbesprochne Sdipusaufführung, die nun zu so großen
Weiterungen führen soll. Ganz kraß ist dabei meines Erachtens jene
Äberschätzung des „Theaters" zutage getreten, die sich im Aberwuchern
des Regiewesens äußert. Wenn zum Beispiel der sogenannte Ehor als
eine verwilderte maskierte Masse hereinstürzt, in unartikulierten
Tönen weheschreit, hin und her wankt, wenn von außen irre Instru-
mentaltöne dazu „Stimmung machen", so sollte man weniger von
einer Wirkung der Tragödie als von einer Suggestion
durch die Regie reden. Wenn aber, wie in München, die Worte
des Ehors wegen allzu lauter Stimmungsmache überhaupt nicht mehr
verstanden werden, eines Chores, der nicht nur poetisch wundervolle
Worte spricht, sondern zur dramatischen Dichtung als wichtiger Be-
standteil gehört, so ist das die ärgste Sünde, die überhaupt in einem
Theater vorkommen kann. Oder werden wir demnächst Beethovens
Symphonien ohne Hörner oder zweite Violinen aufführen? Ieder
Zirkusdirektor ist dem Regisseur überlegen, wenn es Stimmung von
solcher Art zu machen gilt; die „atemlose" Suggestion der Massen
ist zum Beispiel beim Ioopin§ ibs looii weit größer gewesen, als daß
ein Theaterdirektor da konkurrieren könnte, und wenn er den Odipus
mit wirklichem Blut von oben bis unten anstriche und ihm das Auge
eines geschlachteten Tieres an Sehnenfäden aus der Maske hängen
ließe. Nicht gründlicher kann man den Sinn der antiken Kunst und
aller ernsten Kunst mißverstehen und verkehren, als wenn man statt

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