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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0061
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„Valdemar," flüsterte sie, „steh still

„Man kann schlechter stehen. Ich habe keine Eile."

„Mehrmals habe ich schon gehört, wie es im Nebel unter uns raschelte."

„Vermutlich einer von den Hunden der Bergmänner."

„Ietzt eben klang es wie Schritte, und es waren eines Menschen Schritte."

Er stieß ziemlich ungeduldig den Fuß auf die Dielen und bcugte sich
über das Geländer.

„Wer schleicht hier umher rnid lauscht?" fragte er mit erhobencr
Stimme. „Wer mißgönnt mir, daß ich mich in einer Mondscheinstunde
mit meiner jungen Verwandten vergnüge?"

Zuerst erhielt er keine Antwort. Dann knisterte ein dürrer Ast, —
und nun hörte man klar und deutlich, daß jemand unter dem Gange
hervortrat. !

„Ich baue darauf, daß du mir nicht mehr gram bist, Brudcr", antwortete
eine tiefe Stimme aus dem Nebel.

„Es ist Iunker Magnus", lispelte Iutta sich zusammenkauernd.

„Du Pflegst sonst mit gutem Nachtschlaf zu prahlen", sagte Valdemar
mit ungewohnter Kälte.

„Ich beteure, daß es nicht meine Absicht war, nach dir zu spähen."

„Dergleichen zu glauben, könnte mir auch nie einfallen. Wozu stets
soviel Unnötiges beteuern?"

„Ich habe dich gesucht, Valdemar, und zuletzt erfuhr ich, du säßest hier
und spieltest und plaudertest."

„Es war ein Plaudern um nichts."

^Alles beginnt aus nichts, Bruder: Haß, Irrtum, Liebe. Aus
nichts wuchs der ganze Folkungerstamm empor."

„Bist du gekommen, um mir dies zu sagen?"

„Wenn du mich hier unten im Nebel sehen könntest, würdest du wohl
merken, daß ich nicht aus Zeitvertreib hier bin."

„Sprich ohne Umschweife."

„Unser Vater nahm es sich vorhin so sehr zu Herzen, daß er, in seiner
Stube angelangt, auf der Bettstufc umfiel. Es wurde nach mir gerufen,
und ich schickte sogleich uach einigen klugen Frauen. Es ist ein Blutschlag
nach dem Kopfe, sagen sie. Komm rasch herab."

Valdemar wand den Arm um das geschnitzte Bildwerk des Pfostens.
Er erblich so heftig, daß er fühlte, wie sein ganzes Gesicht eiskalt wurde.
Es schwindelte ihm, und seine Augen sahen nur einen wirbelnden Funken.
ALer als er die Lider schloß, sah cr den Vater, den ungekröutcn König,
auf der Bahre liegen. Und sich selbst sah er unter der Bahre, unter der
Bahrdecke selbst nach etwas suchen. Es war so schwer, daß er sich nieder-
legen und es mit beiden Armen umfassen mußte, um es hervorzuziehen,
und er hattc große Eile. Es sah aus wie Folke Filbyters morsche
Schatzkiste; aber als er sie öffnete, sah cr, daß das ganze Folkungererbe
darin war, Land und Volk und Himmcl und Hölle und alle die hübschen
kleinen Mägde und die Nüstungen in der Waffenstube und die Silber-
säcke im Keller. Nun brauchte er nicht mehr zu fragen und zu gehorchen.
Nun war es sein, einzig und allein scin. Er konnte behalten odcr fort-
werfen, bauen oder zerschlagen, je nach Belieben.

„Haben sie den Segen übcr ihni gelesen?" fragte er endlich, um
sich selbst zu wecken.


Kunstwart XXIV, 7
 
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