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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1911)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Grundzüge der Inszenierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0022
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ausführenden Schauspieler von vornherein zu berücksichtigerr. Ist er
eigensinnig, so kommt es zu Zwistigkeiten, die der ganzen Auffuhrung
schaden. Ieder Darsteller ist ein wenig Regisseur und macht oft auf
Punkte aufmerksam, die dem geistigen Auge des lesenden und vor-
bereitenden Spielleiters entgangen sind. Es empfiehlt sich, aus der
Arrangierprobe stets nur im Tone des Vorschlags zu unter-
handeln — auf beiden Seiten — und nicht kanonische Anordnungen
zu treffen. Das erstreckt sich nicht nur auf die Eharakterisierung der
Rollen und auf die Stellungsänderungen, sondern auch auf den
Schauplatz und die Beleuchtung. Die Arrangierprobe darf durchaus
den Eindruck des Chaotischen machen, aus dem sich nach und nach
das kunstvolle Gebilde entwickelt. Am besten ist es, wenn der Spiel-
leiter die Darsteller bei dieser ersten Bühnenlesung (die Rollenhefte
bleiben da noch meist sichtbar) sich selber überläßt und nur in großen
Zügen nachhilft; ferner, wenn er den so durchgenommenen Akt sofort
wiederholt und dabei schon seine eigenen Absichten mit den Wünschen
der Darsteller verquickt. Die Zeit von (0—2 Ahr reicht gewöhnlich
nur für das grobe Festlegen eines einzigen großen Aktes oder zweier
kurzer aus, so daß die gesamte Arrangierprobe sich auf zwei bis
drei Vormittage verteilt.

Nachdem das Stück auf diese Weise der Bühne angenähert worden
ist, bleiben in der Regel einige Tage frei, während deren die Schau-
spieler memorieren und die Leiter ihre differenzierten Pläne machen.
Da sind sogar die Nmkleidungen der Darsteller zu bedenken, deren
Dauer ein Stück bedeutend verlängern und schädigen kann. Aber
Kostüm und Maske werden jetzt mit den Schauspielern genaue Be-
sprechungen gepflogen. Das Kostüm diktiert der Figurinenzeichner, der
sich nur uugern auf schauspielerische Wünsche einläßt und oft die Be-
quemlichkeit und Kleidsamkeit zugunsten der historischen Echtheit hint-
anstellt. Die Maske bleibt meist der Phantasie der Darsteller anheim-
gestellt, der dem Perückenmacher entweder eine kleine Zeichnung zur
Unterlage anfertigt oder ihm aus irgendeinem Bilderschatze einen Kops
beibringt oder ihm nur wörtlich Frisur und Bart andeutet. Das
Schminken des Gesichts und sonstige Veränderungen des äußeren
Menschen, wobei mit großer Kunst vorgegangen werden kann, sind
einzig Aufgabe des Schauspielers selbst.

Vou Probe zu Probe — nun heißen sie Theaterproben — wird die
Bühne wohnlicher. Die wirklichen Dekorationen kommen allmählich
vom Malersaal herunter und treten an die Stelle der zusammen-
gestückelten WLnde; Versatzstücke aller Art vom großen Baum bis zum
kleinen Blumenstöckchen finden sich ein; Möbel, Gardinen, Tischr,
Stühle, allerhand winzige Requisiten, endlich Teppiche erleichtern
den Darstellern die Heimlichkeit des Spiels, tragen zur Stimmung bei.

Nnd nun geht es an das innige Ineinanderwachsen, das im Stil-
stück wie im naturalistischen möglich und nötig ist. Ie mehr sich der
Schauspieler vom Souffleur loslöst, je seltener der Spielleiter den
Dialog unterbricht, um so freier werden die Bewegungen, um so
kecker wagt der Darsteller sein inneres Vorbild zu verwirklichen, bis
er endlich ganz vergißt, daß er auf dem Theater steht. Er folgt,
wenn er selber nicht mehr auf seinen nächsten Satz aufzupassen hat,

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