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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1911)
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Gregori, Ferdinand: Grundzüge der Inszenierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0024
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rein phantastische Gebilde lieber gar nicht als nnzulänglich erscheinen
zu lassen. Ist das nun auch bei den Macbethschen Hexen und im
„Freischütz" kaum durchzuführen, so doch etwa im „Faust" beim Erd-
geist und der Venus oder Helena in der Hexenküche.

Schon die Volksmassen bereiten der Inszenierung große Schwierig--
keiten; seit den Zeiten der Meininger hat man sie zu individualisieren
versucht. Man läßt die Komparsen und Statisten also nicht mehr
links und rechts in geordneten Reihen symmetrisch aufmarschieren
(es sei denn, daß eine ungewöhnlich strenge Stilisierung wie in den
antiken Bühnenwerken und der „Braut von Messina" gleichmäßiges
Auftreten und Sprechen sordere!), sondern sie spielen sich aus Türen
und Gängen gruppenweise an den Fleck hin, wo die Szene sie benötigt.
Man ernennt wohl auch Gruppen führer und weist ihnen eine Reihe
von individuell gegliederten Sätzen zu, die sie mit ihren Leuten aus-
tauschen. Diese Gruppen bleiben meist in sich konstant und bewegen
sich nach links und rechts, nach vorn und hinten, so daß sich das
Gesamtbild des „Volkes" stets wandelt. Die Zwischenrufe der Menge,
durch welche die Reden der Einzeldarsteller oft eine Steigerung er-
fahren können, wird der geschmackvolle Spielleiter nicht immer nnisono
sprechen lassen (was bei längeren Einwürfen besonders gekünstelt klingt),
er wird auch hier erst einzelne Rufer bestimmen, ehe die Masse ein-
fällt, und niemals die Worte des Solisten, sofern sie die wichtigeren
sind, durch allgemeines Schreien zerreißen und ersticken lassen. Blutige
Schlachten schlägt man am besten und glaubhaftesten hinter der Bühne
oder hinter künstlichen Staubwolken, so daß sie den kritischen Augen
der Zuschauer ziemlich entzogen bleiben. Auch imposante Aufzüge
deutet man, wo es geht, nur an: wenn hinter einem Hügel, einer
Mauer Baldachine, Fahnen, Lanzen vorbeigetragen werden, so daß
nur die Spitzen sichtbar sind, ist der Illusion vollauf Genüge ge°
schehen. Beim Arrangement des Lärms hinter der Szene, bei der
Wiedergabe von Sturm, Regen und Gewitter ist nie außer acht zu
lassen, daß der Text, der inzwischen die Handlung fortführt, der aus-
schlaggebende Teil ist; alle diese Geräusche hinter den Kulissen dürfen
und sollen zwar naturalistisch wirken, aber doch kunstvoll-heimlich an-
und abschwellen, je nachdem die Rede zwischen den Kulissen laut oder
leise klingt. Für das musikalische Beiwerk im Drama gilt ungefähr das-
selbe; meift hat es sekundären Wert, und es darf ihn nicht selbstherrlich
erhöhen. Für jede Bühne empfiehlt es sich, eine Sammlung von
Musikstücken anzulegen, die aus verschiedenen Iahrhunderten und
Ländern stammen. Der Kapcllmeister wird daraus leicht für jedes
Stück etwas Angemessenes entnehmen können. Bekannte Marsch-
melodien sind zu vermeiden, wo der Dichter sie nicht deutlich verlangt.

In den Stücken, die des gewaltigen Weltatems entbehren, der ent-
scheidendcn Handlungen und ihrer Wendepunkte, hat auch die Inszenie-
rung zartere Aufgaben. Das sogenannte Milieudrama ist ohne pein»
lichste Beobachtung der psychologischen Kleinmalerei geradezu unmög-
lich, aber dank dieser Beobachtung selbst bei mittelmäßigen Einzel-
leistungen eines starken Erfolges sicherer als ein durch dasselbe
Personal dargestelltes, in großen Zügen gearbeitetes Stildrama. Da
heißt es zuerst das Äußerliche des Schauplatzes mit epischer Breite

s. Ianuarhest iyst 9
 
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