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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 8 (2. Januarheft 1911)
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Avenarius, Ferdinand: Kinderzeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0126
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mögen wir ihm, alles in allem, glauben. Nebenbei sind diese Zeich-
nungen aber deshalb nicht nur amüsierlich, sondern auch interessant,
weil sie auf gleichem Felde mit nachgeahmter Kinderkunst auch eine
Kunst des erwachsenen Künstlers zeigen, die dsm Laien anfangs auch
«kindlich" schien. Denn als Busch zuerst auftrat, als man somit
noch nicht an ihn gewöhnt war, da war die Meinung allgemein:
er zeichne „wie Kinder". Daraufhin vergleiche man die beiden Lehrer-
darstellungen. Beide sind für den Lehrer charakteristisch — aber
die Bilder des kleinen Klecksel zeigen, was vom Charakteristischen
ein Iunge, das andre, was außerdem davon ein Künstler wie
Busch wahrnimmt. Auch der falsche Frackansatz wahrt durchaus das
Kindkunsthafte, das Busch augenscheinlich vortrefflich gekannt hat.*
Von ganz andrer Art sind Oberländers „Randzeichnungen des
kleinen Moritz". Auf den ersten Blick scheinen sie dem Wesen nach
den Blättern Buschs ähnlich. Auch hier die „Durchsichtigkeit",
auch Hier (wenn schon sehr gemildert) der falsche Armansatz, auch
hier die Biegsamkeit der Arme und die Steifheit der Beine, dazu
noch das kraftlose „Gekritzel", das, solange es allein auftritt, die aller-
früheste Periode des kindlichen „Malens" kennzeichnet. Wie dieses
Gekritzel mit Erscheinungen aus spätern Perioden zusammen verwendet
wird, so wird mit früheren Ausdrucksweisen auch schon eine Kennt-
nis der Perspektive zusammengebracht, die in so sertigem Zustande
noch nicht vorkommen kann; in der Wirklichkeit werfen Kinder, die
noch so „stricheln", meist hinsichtlich der Komposition sogar noch
Auf- und Grundriß durcheinander. Oberländer wollte eben gar nicht
Kinderzeichnungen nachahmen, er wollte nur assoziativ die Stim -
mung wecken, daß man Kinderzeichnungen vor sich habe — um
durch den Kontrast zum eigentlichen Gehalt den
Humor desto stärker aufklingen zu lassen. Denn was er
uns eigentlich sagt, das sieht ja nur ein Erwachsener so, der kleine
Moritz müßte denn ein unerhört frühreiser Schlingel sein. So benutzt
Oberländer auch die kindliche Manier, ganz nebensächliche Kleinigkeiten
hervorzuheben, wenn sie den Kindern wichtig sind (man dsnke an
Zylinderhut, Zigarre, Damenkleid von vorhin), um nun als Wichtig-
keiten scheinbare Kleinigkeiten zu geben, die in Wahrheit aber hier
gerade uns Großen höchst bezeichnend erscheineu. Man sehe sich
daraufhin die Liebeserklärung an. Nur kindlich sind die Nägel im
Sofabezug — hier ist eines der kleinen unter den Kunstmitteln,
wie Gestrichel, Durchsichtigkeit usw., um die Stimmung zu halten.
Vielleicht auch, daß dem belauschenden Moritzli bei dem Leutnant
die tzandschuhe, die Stiefel, das Monokel, der Scheitel, bei dem
Fräulein der tzaarschopf und die Tändelschürze besonders beachtens-
wert und also der Verewigung wert scheinen können. Aber nun be-

* Auch die Begleiwerse zu einem andern „Kinderbilde" Bnschs be°
stätigen sein Verständnis des Problems:

„Zunächst mit einem Schieferstiele
Macht er Gesichter im Profile;

Zwei Augen aber fehlen nie,

Denn die, das weiß er, haben sie."

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