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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 8 (2. Januarheft 1911)
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Avenarius, Ferdinand: Kinderzeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0137
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grnnt das lustige Linschmuggeln vom Großen her ins Kinderreich.
Diese Stellungen (die Arme auf der letzten Gruppe!) und diese Ge--
sichter kann nur ein weltkundiger Großer so sehn. Trotz diessr Konter-
bande in solchen Blättern den Anschein des Kindlichen zu wahren,
das bringt nur ein zeichnendes Genie fertig. Auch Oberländer selbst
hat ja kaum Genialeres geschaffen als diese Blätter, die zu den Gipfe-
lungen der Humoristischen Zeichenkunst aller LLnder und Zeiten ge-
hören.

Von den Großen wieder zu den Kleinen! Bietet nicht schon das
so wenige, das unsre paar Blicke von ihrer „Mal"-Welt zeigten,
allerlei zum Nachdenken?

Wir deuteten vorhin einige Zurückhaltung an gegenüber dem
Ausdruck „das Kind will". Denkt man beim „will" an irgendeinen
Bewußtseinsakt, so muß man wohl recht vorsichtig sein. Mitunter
ist er dabei, mitunter nicht, und wenn er dabei ist, so kommt mitunter
doch was andres heraus, als was gewollt ward, ja, gerade das Nicht-
gewollte und unbewußt Zugegebene kann das Wertvollste sein. Alles
genau wie beim Erwachsenen, auch wie beim erwachsenen Künstler.
Nnd zweitens: wir treffen zwei, wenn man will, entgegengesetzte
Richtungen der Kunsttätigkeit. Ein Aussagen dessen, was man
„inius" hat, wie die Buchstabenschrift eins ist, und danu: ein Nach-
bilden der Wirklichkeit draußen. Aber der Kunstwartaufsatz neulich
über Handzeichnungen handelte besonders davon, daß das erst-
genannte „Aussagen" auch wieder verschiedener Art ist, wie in der
Schrift die geschriebenen Sätze einerseits, und anderseits die „Hand-
schrift", in der sich Lharakter, Stimmung und sonst noch mancherlei
niederschlagen. Wir können jetzt auf all das nicht eingehn, genug
für den heutigen Zweck, wenn eines klar ist: das Zeichnen ist lange
nicht die einfache Sache, als die es der Zeichenunterricht von ehedem
aufgefaßt hat. Den Zeichenunterricht zu Pflegen als Abung im be-
wußten Sehn ist eine vortreffliche Aufgabe und nach meiner
persönlichen Aberzeugung sogar eine, die gegenwärtig oft unterschätzt
wird. Aber die einzige Aufgabe ist es nicht. Denn alle guten
Kräfte im Kinde müssen womöglich angeregt werden, zum mindesten
aber darf man keine von ihnen, geschweige denn mehrere durch die
einseitige Ausbildung einer einzigen unterdrücken. Mit der Anleitung
zum Nachbilden der Wirklichkeit also ist für unser Gebiet die Aufgabs
der Erziehung nicht erschöpst.

Wer wissen will, was herauskommt, wenn man es so treibt, der
Prüfe beim ältern Geschlecht die Produkte des Zeichenunterrichts älterer
Art an Leuten, die nicht durch Anlage oder Verhältnisse weiter, als die
Schule sie führte, gekommen sind. Die Handfertigkeit mag stattlich
sein, wie steht's um das Verhältnis solcher Menschen zur bildenden
Kunst, um ihre Genußfähigkeit an Kunst? Die eigentliche Menge
bleibt ja freilich noch unterhalb jeder künstlerischen Bctrachtung über-
haupt, indem sie nur vou den dargestellten Gegenständen als solchen
interessiert oder auch gelangweilt wird. Von der Minderheit aber —
wie wenige kommen darüber hinaus, ein Kunstwerk auf mehr hin
anzusehn, als darauf, wieweit nach der Beschauer Ansicht die Nach-
ahmung der Wirklichkeit geglückt sei! Für wie viele bricht noch

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