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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1911)
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Avenarius, Ferdinand: Gegen die Farbendrucke
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0211
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auf kuustgewerblichem Gebiet zunächst ästhetisch zu überschätzen, weil
man vor Erstaunen über das wirklich Staunenswerte die ästhetischen
Mängel übersieht. Man denke nur an den Schmiedeeisen-„Ersatz"
durch Guß, an die Glasbilder-Diaphanien, auch an die Porträtphoto-
graphie, vor der mau eine Weile lang die Verdrängung der Bildnis-
malerei befürchtete. Das „aber" kommt immer erst nach einiger Zeit,
und zu der Menge der Gefährten immer erst wieder eine Weile später.
Die Zwischenzeit ist die, da jene neue Technik die Mode macht. Noch
ist dem Volk das Auftauchen photomechanischer Reproduktionen bis--
her nur farblos wiedergegebener Bilder in jedem Einzelfall etwas
Äberraschendes, und es nimmt diese neue Vermittlung im besten Fall:
einiger Kenntnisse von den Farben gutgläubig als Vermittlung
koloristischer, ästhetischer Werte hin.

Dann: durch die Erfindung des Drei- und Vierplattendrucks auf
photomechanischer Gruudlage ist die Herstellung von Farbeudrucken
mit einem Schlage außerordentlich verbilligt worden. Das Pu-
blikum weiß das aber noch nicht, es bildet sich ein, es bekomme die
Sachen verblüffend preiswert, und der Geschäftsmann nützt das aus.
So könnte zum Beispiel der Kunstwart kein besseres Geschäft machen, als
wenn er seine „Meisterbilder" farbig herausgäbe, denn die herstellungs--
kosten ihrer neuen auf Karton gebotenen Folge sind zum mindesten
ebenso hoch, wahrscheinlich höher, als die der „Bunten Blätter",
trotzdem kosten diese das Doppelte — und Publikus glaubt
doch, sie seien, wer weiß wie billig. Halte die edelste Photogravüre,
auf deren Lichtreichtümern und Feinheiten ein Künstlerauge schwelgen
kann, neben den buntesten Farbendruck, — der Mann mit dem Durch--
schnittsauge wird glauben, auf dem Farbendruck „mehr fürs Geld"
zu bekommen.

Ich glaube nicht, daß unter uns „Kunsterziehern" irgendwer auf die
Freude an der Farbe mehr Gewicht legt als ich, aber Farbe und Bunt--
heit ist zweierlei. Es ist höchste Zeit, daß sich all die wohlmeinenden
Schriftsteller, Redakteure, Lehrer in jedem einzelnen Falle der Ver--
antwortlichkeit bewußt werden, die sie mit der Verbreitung photo--
mechanischer Farbendrucke auf sich nehmen. Es gilt nicht schlechterdings
ablehnend aber kritisch zu stimmen gegen sie allesamt. Es gilt zu
warnen vor dem Buntheitstaumel, in dem wir mitten darin
sind. Die große Erzieherin des Farbensinns ist die Natur, nochmals
die Natur und drittmals die Natur, ehe irgendein Bild in Frage
kommt. Die Natur in gesammeltem oder zerstreutem Licht und Schat--
ten, die zu keiner Stunde dasselbe Stück Fläche und Körperlichkeit
im Raum in genau derselben Erscheinung zeigt, wie zu irgendeiner
andern. Wirklich beobachtende Blicke durch drei Zimmer mit Luft--
perspektive, auf und durchs Fenster, an dem die Blumen stehn, auf
eine Gestalt, die im Raume herumgeht und jetzt, so beleuchtet, vor dem
braunen Schrank, jetzt, anders belcuchtet, vor der blauen Wand steht,
Blicke auf das Pferd dort vor dem Karren, Blicke die Straße hinab,
Blicke ins Weite hinaus, an denen übt sich das Auge für Farbenwerte.
Nnd wie erst, wenn die Hand nachzubilden sucht: am Zusammenstellen
von Farbigem jeder Art, am guten Dikettantismus. An all dem übt sich
der Sinn fürs Kolorit. Am Komponieren von Häuserflächen und

b Februarheft GU j65
 
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