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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 9 (1. Februarheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0241
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ich; daß ein künstlerisches In°
genium — mag es gerichtet sein,
wie es will — im Ghmnasial»
betrieb keine Förderung erleben
kann, glaube ich mit großer Innig-
keit. Aber daß der Schöpfer der
abgeklärten und flüssigen Hilde-
brandschen Florentinismen in
Deutschland als ein völlig naiver
und voraussetzungsloser Genius
aufwächst und nach Nom zu Ma-
rees kommend, arbeits- und
kampflos in lichtgeborener Voll-
endung das in sich findet, was
Marees vergeblich zu erkämpfen
sucht, daneben aber in seinen Näch-
ten Dürer träumt und in seinen
Mußestunden das „Problem der
Form" schreibt — das ist mir ein
vollendetes psychologisches Rätsel.

Isolde Kurz sagt in einer feinen
Schilderung von Florenz über die
Wirkungen, die die Stadt auf den
ausübt, der sich ihr ergibt: „Lang-
sam verfeinert sich das Stilgefühl
bis zur Unduldsamkeit und schafft
beim Anblick jedes Erzeugnisses
einer unreiferen Kultur Qualen,
von denen der Außenstehende keine
Ahnung hat. Nur in Gesellschaft
der Toten scheint das Leben noch
lebenswert. Aber die Toten sind
grausam, besonders gegen den
schaffenden Künstler. So mancher
legt sich als demütiger Schüler
zu ihren Füßen, der daheim Ge-
winn und Ehren erringen könnte
oder schon errungen hat, und wird
von ihnen ausgesogen und weg-
geworfen."

Die Bemerkung enthält Wahr-
heit nach zwei Seiten. Einmal ist
es wohl wirklich nicht sowohl das
spezifisch Italienische, was Flo-
renz zu einer so guten Schule des
Geschmacks macht, sondern es sind
„die Toten", es ist die machtvolle
Kultur, die vergangen ist, die auch
in Deutschland ähnlich wirkt, über-
all, wo sie noch zusammenhängend

genug auftritt, um ein Lebenswort
sprechen zu können. Nur gibt es
eben in Deutschland kein Stück
Vcrgangenheit mehr, das in sol-
cher Breite noch lebt. Dann aber
anderseits wird, während man
jenes einsaugt, in, mit und unter
ihm das spezifisch Undeutsche, Ita-
lische darin wirksam, und das,
scheint mir, ist es, was unsre
Künstler ungünstig beeinflußt und
fast allen (nicht nur den ganz
Schwachen) einen Zug von Heimat-
fremdheit ins Antlitz gibt.

Wenn Isolde Kurz gelegentlich
den hübsch gemachten Scherzreim
ihres Vruders, des Arztes, an-
führt: „Ich floh und ich fliehe
vor einem Dichter / der nennt sich
Iean Paul Friedrich Nichter. /
Ich floh und ich fliehe noch viel
weuter / Vor einem Schreiber, dcr
heißt Fritz Neuter", so ist es wohl
nicht ganz zufällig, daß das ge°
rade zwei typisch un-anitalisierte
Deutsche sind. Es ist mir leider
zicmlich gewiß, daß im Grunde
des Herzens der mcisten dieser
italienischen Deutschen auch Dürer
und Rembrandt keinen aufrichtig
verehrten Altar haben: „Ich floh
und ich fliehe vor einem Schmie-
rcr / Der stammt aus Nürnberg
und nennt sich Dürer. / Ich floh,
und ich muß noch weiter fliehn /
Vor einem Klexer, heißt van
Ryn."

Böcklin hat in Sachen Nem-
brandts bekanntlich in Tat und
Wahrheit so ähnlich gefühlt. Aber
er liebte freilich dafür die Alt-
deutschen mehr als die Italiener.*

* Bei Gelegenheit Böcklin noch
eine Kleinigkeit: Wer dcn allmäh-
lich nun ost gcnug gehörten Lob-
gesang auf die „pietätvollen dcut-
schen Hände", in wclche die Villa
Böcklin nach dcs Meisters Tode
gefallen ist, sowie auf den letzten

M Kunstwart XXIV, 9
 
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