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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 9 (1. Februarheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0259
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backenster Weise wirklich, wirkend,
ja wirklicher als das nachträglich
Bewirkte. Was aber lebt und
bewegt, mnß ein Formenspiel
haben, nnd wo Formen sind, muß
eine Sichtbarkeit möglich sein. Die
genannten Schriften — unter
andern aus allen Zeiten — zeigen
nun auf Grnnd eigener Erfahrnng
nnd unter Vergleich mit der ande»
rer, wie die Gedankcn, Gefühle
und Begierden und ihre Welten
sich in Form und Farbe dem je-
weilig entwickelten Auge darstellen.
Manche Abbildungen dieser Bücher
zeigcn elementare Ähnlichkcit mit
den geheimnisvolleren von Katha-
rine Schäffners Gebilden, nnr mit

dichtung äußeren Geschehens, dessen
Gegenstände ja den Bcschauern
so vertraut sind, daß die bloße
zeichnerische Andeutung eher ge-
nügt, ja unter Umständen die fei-
nere „Beschränkung" ist.

Da geistiges Streben in Stu-
dium uud Tat die Quelle meiner
Kunsttätigkeit ist, so habe ich selber
nie aufgehört, Versuche in dcr
„losgelösten" reinen Linienkunst zu
machen, und ich sehe in ihr das
Ziel auch der „sichtbaren Kunst"
überhaupt. Daß diese in dieser
Richtung, aber eben nur im
Abeirdlandc heute hinter der „hör-
baren Kunst" zurücksteht, sehe ich
als eine Nachwirkung der aszeti-

Katharine Schäffner» Frieden

dem Vorzuge, daß die so wesent-
liche Mitwirkung der Farbe nicht
fehlt. Ich nehme Katharine Schäff-
ners Verzicht auf die Farbe nicht,
wie Avenarius zu tun scheint, für
einen Vorzug.* Unleugbar ist es
eine schwerere Kunst, die Innen-
vorstellungen auch farbig getreu
wiederzugeben oder bei erdichteten
Problemen, also eigentlichen Schöp-
fungen, jene auch farbig harmo-
nisch zu lösen. Und gerade bei
solcher subjektiver Mitteilung ist
die Verdeutlichnng durch Farbe
viel notwendiger, als bei der Nach-

* Das ist ein Mißverständnis.
Es ist Fidus augenscheiulich auch
unbekannt, daß Katharine Schäff-
ner in andern Werken eine
Künstlerin, ja eine Meisterin auch
der Farbe ist. K.-L.

schen Puritaner-Moral an, dic alle
„Augenlust" zur Sünde stempelte,
während die „geistliche" Musik sich
entwickeln durfte. Auch wir müs-
sen wieder zu einer sichtbaren
Sprache kommen, die über das
clementare Stammeln der Natur-
nachahmung oder auch nur An-
lehnung hinauskommt. Mag die
noch so fein ausgewählte Natur-
studie stets die notwendige Vor-
übung zur Kunst bleiben und auch
znr Stimmung des bewohnten Pri-
vatraumes das angcnehnrste, wcil
stillstc Schmuckstück sein — in der
monumcntalen Fest- und Tempel-
kunst aber wie in dem broschüren-
haftcn Ideen- und Empfindungs-
austausch der Zeit durch die Zeich-
nung brauchen wir Stil und Stili-
sierung. Ich sagte: auch wir
und wiederum, denn alle Höhen-

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