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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,2.1911

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Heft 12 (2. Märzheft 1911)
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Langen, Gustav: Was nun?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9018#0456
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Da streiten sich heute noch zwei Parteien, die Architekten und
Ingenieure, oder, ein wenig frei verdeutscht: die Hochbauer und die
Tiefbauer. Die Architekten suchen die Stadt zu einem praktischen
und schönen Organismus zu gestalten und haben das unbestrittene
Verdisnst, die ganze Frage des modernen Städtebaus ins Rollen
gebracht zu haben, die Tiefbauer dagegen haben die technischen Spe-
zialgebiete: Wegebau, Kanalisation, Bahnbau, Vermessungswesen,
Masserbau und anderes schon seit Iahren als Wirkungsgebiet erhalten
und fühlen sich ihrerseits als die berusenen Männer des Städte-
baus. Die Tiefbauer machen die Bebauungspläne ohne zu wissen, wie
der Hochbauer sie bebauen wird. Der Hochbauer hat die Baupolizei und
Bauberatung, also die schließliche Ausführung in der Hand, ohne
auf die Vorbedingungen dafür, die Bebauungspläne, Einfluß zu
haben. So ist eine Zersplitterung in den Städtebau hineingekommen,
der alle die Schäden zuzuschreiben sind, die endlich die moderne
Städtebaubewegung ins Leben gerufen haben. Die alten, guten Städts-
bauer des Altertums, Mittelalters, der Renaissance- und Barockzeit
waren noch Architekten und Ingenieure in einer Person.

Was sollen wir aber heute tun, wo der Bildungsgang beider neue,
den alten entgegengesetzte Wege läuft?

In einer Sitzung des Berliner Architektenvereins zerhieb der Vor-
sitzende den gordischen Knoten mit folgender feiner Vemerkung: „Es
ist denkbar, daß der Ingenieur die idsalen Gesetze der Schönheit ver-
letzt, es ist aber undenkbar, daß der Architekt die praktischen Forde-
rungen der Technik verleugnet, daher vertrauen wir dem Architekten
mshr." Mit andern Worten: technisch kann auch eine häßliche Stadt
ausgeführt werden, und das> ist in hunderten von Fällen ge-
schehen, die Ausführung einer Stadt mit technischen Widersinnig-
keiten ist aber bei der heutigen gsnauen Prüfung technischer Projekte
von vornherein ausgeschlossen, und sei sie noch so schön. Weil daher
der Tiefbauer wohl den Architekten übergehen kann, der Architekt
aber niemals den Tiefbauer, so ist eine vielseitige einwandfreie Lösung
unter der Leitung eines Architekten sicherer zu erwarten. Aber auch
dies ist noch keine endgültige Entscheidung. Beide, sowohl der tech-
nisch geschulte Tiefbauer, wie der künstlerisch bedeutende Architekt
sind noch viel zu eng begrenzt, um den Aufgaben des großen Städte-
baus gerecht zu werden. Die kann man weder am Reißbrett, noch auf
der Baustelle lösen. Dazu gehört neben Technik und Kunstempfinden
noch eine weite Äbersicht über die wirtschaftlichen Verhältnisse und
die Leistungsfähigkeit einer Stadt, über die Verkettung städtebaulicher
Fragen mit wirtschaftlichen, rechtlichen, gesundheitlichen und vielen
anderen Rücksichten des öffentlichen und privaten Lebens. Man kann
vom Städtebauer zwar nicht verlangen, daß er Kaufmann, Iurist,
Diplomat, Volkswirtschaftler, Statistiker noch außer seinem technischen
und künstlerischen Berufe sei, aber ein vielseitig gebildeter Mensch
muß er sein, der unbeugsamen Idealismus mit nüchternem Wirklich-
keitssinn, schnellen Entschluß mit zäher Beharrlichkeit, warmes Ver-
ständnis sür alle Fragen des Gemeinwohls mit technischsm Spezial-
können vereint. Der Städtebauer darf nicht mit laufenden Geschäf-
ten der Verwaltung überbürdet sein, damit es ihm nicht so geht,

2. Märzheft Mi S7s
 
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