Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1912)
DOI Artikel:
Rath, Willy: Strindberg
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0425
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
unwürdig sind und daß der Dialog oftmals ein leidenschaftliches Tempera-
ment bekundet. Die Frage ist aber nichtsdestoweniger zu verneinen, wenn
an den Dramatiker der strengste Maßstab gelegt wird, wie ihn die Größe
des Mannes fordert; wenn als Dramatiker nur der gelten darf, der innere
Konflikte auf spezifisch dramatische Weise anpackt und durchgestaltet, das
heißt durch Charaktere auskämpfen läßt, die völlig aus dem Selbst des Ur-
hebers hinausgestellt sind und ausschließlich gemäß ihrer Anlage mit über-
zeugender Notwendigkeit sich gegeneinander bcwegen, und zwar so, daß
ein gegliederter Organismus Wachstum und Entscheidnng des Konflikts
(oder dcr Konflikte) mit ebensoviel Lebensfülle wie Knappheit in Handlung
und Gegenhandlung darstellt. Strindbergs Stärke auf dramatischem Ge-
biet ist, bezeichnenderweise, der Einakter. In seinen größeren Dramen —
wir kennen sie nicht alle, aber doch ein paar der meistgerühmtcn — prägt
sich kein eigentlich dramatischer Wille aus.

Wievicl Schönes liegt in Einzelhciten der groß erdachten Geschicht-
dramen vom Schlag des „Gustav Adolf", der „Königin Lhristine". Allein
die geistvolle Geschichtauffassung, die gründliche Kenntnis der Stoffe, die
reife Humanität der Gesinnung, die vereinzelten Glanzpunkte in der
Erfindung und der Charakteristik der Hauptpersönlichkeit, die Schlagkraft
mancher Antithesen können schlechterdings nicht Ersatz bieten für das
Fehlen einer angespannten, knapp nnd einheitlich durchgeführten Hand-
lnng, für das Ausbleiben eines in sich bewcgungkräftigen Getriebes mit
selbständig sich auslebenden Gegen- und Nebencharakteren. In den
mhstisch-modernen Dramen des Fünfzigjährigcn wie „Rausch" odcr „Nach
Damaskus" fesselt die Eigenart diescr neuen Vereinigung von realistischen
und romantischen Elementen, packt gelcgentlich die Kühnheit der Gesichte
odcr des Sinnbildgedankens, erschüttert das schmerzenreiche Ringen einer
großen Seele, die zugleich nach Erkenntnishelle und Glanbensschatten ver-
langt. Aber dramatische Kunstwerke sind das im Grunde nicht, sondern
szenisch behandelte Epen, Balladenreihen mit stark leuchtenden und mit
nebelhaften Episoden. Und der Einakter ist nicht notwendigerweise wahres
Drama. Er fällt in die lhrische oder aphoristische Dimension, scheint ge-
schaffen, das Drama zu umgehen, da er die Architektur nicht braucht, -ie
des Dramas kunstwerkerliches Wesen bedeutet und der im Pshchologischen
die Entwicklung oder mindestens die Aufwicklung entspricht.

In Strindbergs gesamter Dramatik fällt auf, daß sie dramatische
Knappheit in dcr Regel mit einer gewissen seltsamen Sprunghaftigkeit
und befremdender Starrheit der Charaktere erkauft — mit Werteinschrän-
kungen also, die in des Dichters reifen Erzählungen nicht oder nur ver-
schwindcnd selten festzustellen sind. Die Erfolglosigkeit, die Strindbergs
größeren Dramen immer wicder beschieden zu sein scheint, können wir
nach alledem wohl herzlich bedauern, müssen sie aber bcgreifen und dürfen
uns Vorwürfe gegen die Bühncn crsparen. Trotz alledcm: der Dichter ist
groß genug, um auch in seinen mehraktigen Dramen oft hörenswert und
geistig selbstverständlich allem Durchschnitstheater hoch überlegen zu sein.
Wo also eine Darstellung größcrer Strindbergischer Bühnenwerke unter-
nommcn wird, muß sie uns als Erperiment und als Huldigung für den
ganzen Strindberg willkommcn sein. Stücke wie die genannten oder
wie „Gustav Wasa", „Die Nachtigall von Wittenbcrg", wie „Advent" und
„Ostern" verdiencn auch gelesen zu werdeu. In der Hauptsache aber

356 Kunstwart XXV, (8
 
Annotationen