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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1912)
DOI Artikel:
Riedner, Wolfgang: Die unmoderne Deutsche
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0096
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Iahrg. 25 Zweites Iuliheft 1912 Hest2O

Die unmoderne Deutsche

fn glücklicher Zufall führt uns Mode-Laien an eine der Quellen, aus
» ^^denen das heutige Berlin (und also in der Nachwirkung ein gut Teil
^»^von Deutschland) nicht bloß mit Mode-„Strömungen", sondern auch
mit grundsätzlicher Mode-Meinung versorgt wird. In der „B. Z.", dem
vielgelesenen Berliner Mittagsblatt, das im besonderen dem Sport und
der Mode überaus viel Platz einräumt, lesen wir einen Artikel der
ständigen Mitarbeiterin für Modesachen, der mit rührender Offenherzig-
keit an der Berlinerin und überhaupt der deutschen Frau einen Mangel
beklagt, den noch immer viele andere Leute für einen Vorzug halten.

„Die Berlinerin auf dem Turf" heißt diese kritische und ratspendende
Elegie in norddeutscher Prosa. Sie ist schon deshalb der Beachtung
wert, weil sie an so sichtbarer Stelle steht; dann aber auch, weil die Ver-
fasserin Elsa Herzog eine sehr fähige und ehrliche Vertreterin ihres Faches,
so wie sie es versteht, zu sein scheint. Gerade nach Beginn dieser Arbeit
(zwei Tage nach dem Erscheinen ihres Artikels) ersahen wir aus den Zei-
tungen, daß Elsa Herzog auch als „Modebeirat" für das Komödienhaus,
das im Neuen Operettentheater zu Berlin erstehen will, verpflichtet wurde.
Sie soll dort bei der Wahl der Gewänder sür die Bühnenkünstlerinnen
mitwirken und vor allem die Anfertigung der modernen „Toiletten" für
die Schauspielerinnen mit mäßiger Gage, denen die Kleider geliefert wer-
den, überwachen. Die Stellung ist neu im Bühnenbetrieb. Nm so mehr
Grund, die Anschauungen dieser Mode-Rätin ein bißchen näher kennen
zu lernen.

„Lebt man ständig", so schreibt sie, »in Berlin und kennt keine anderen
als die Berliner Rennbahnen, so kann man sich einreden, die Berlinerin
sei elegant." Der Laie denkt: „Nun also — Herz, was begehrst du mehr?"
Allein die Mode-Führerin fährt fort: man kann sich einreden, Fie halte
mit den letzten Pariser Moden Schritt, trage wie die Französinnen das
Neueste. Kommt dann so ein vom Schick der Berlinerinnen Äberzeugter
einmal nach Paris, nach Auteuil, nach Longchamps, meinetwegen nur (!)
nach Baden-Baden, so sieht er ein, wieviel der Berlinerin, aber auch dem
Berliner noch zu wirklicher Eleganz fehlt." Die Pariserin wird also ganz
gntgläubig als das selbstverständlich verbindliche Muster der Eleganz für
die Berlinerin, für jede Deutsche, und überdies der Pariser als Muster für
den Deutschen angebetet: die „wirkliche", allein echte Eleganz, die beste
aller denkbaren Eleganzen, hat einmal ihren Thron in der Franzosen-
hauptstadt.

Das ist nun wahrlich nichts Neues — im Gegenteil, es sollte etwas
recht Veraltetes sein. Änd daß es dies für so viele sonst mehr oder minder
Vernünftige in Deutschland auch heute noch nicht ist, gerade das macht
die Sache so merkwürdig. Es wird gar nicht einmal versucht, nachzudenken,
ob es nicht vielleicht gute Gründe dafür gibt, daß die Berlinerin im
großen ganzen — trotz aller unendlichen Hingabe unsres Modegewerbes
an die Sache Frankreichs — nicht daran will, der Pariserin jeden Mode-

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