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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 23 (1. Septemberheft 1912)
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Schumann, Wolfgang: Dichtungen von Kindern
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0388
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füllen, ist noch lange nicht erschöpft. Und es ist wohl nicht anzunehrnen,
daß die Leilnahnre der Dichter für den geliebtesten und liebenswürdigsten
Leil des Menschengeschlechts so bald wieder erlahmen sollte, nachdem sie
eben ihre ersten reifen Früchte gebracht hat. Wolsgang Schumann

Lose Blätter

Aus Dichtungen von Kindern

ssWir bringen hier Proben aus den eben besprochenen Büchern von
Erika Nheinsch und Stefan Zweig. Das kleine Stück aus dem Buch
der Mutter bezieht sich auf eine Zeit, die mehrere Wochen nach der
Geburt des Kindes liegt. Es ist eine recht charakteristische Probe von
der Art, wie sie sich einsühlt in das Dasein des annoch völlig unbegreif-
lichen, nur intuitiv erratbaren und deutbaren Wesens; und die Szene
vom Sonntagmorgen gibt in einem feinen, überaus liebenswerten Einzel-
stück etwas von dem Kult, den in diesem Werk Hingabe und Sorgfamkeit
mit dem Kinde der Liebe treiben. — Zweigs Novelle „Die Gouvernante"
ist vielleicht das am einheitlichsten und reinsten gelungene Stück des
Bandes; mehr noch als in den andern ist hier alles vom Kind aus
gesehen und dargestellt. Dadurch ist das hastende, von Neugier und
Mitleid getriebene Tempo der Erzählung noch erhöht; alle Reflexion
und Beurteilung der Geschehnisse entfällt, und nur Gestaltung drängt
sich an Gestaltung. Das ist Zweigs eigenste Kunst, und wir meinen,
sie muß jeden für das Seelenleben des Kindes Empfänglichen berühren,
obwohl dies Stück nicht jene erschütternde Tiefe hat, wie die Knaben-
novellen des BandesZ

Aus Erika Nheinschs „Kindlein"

vangsam und fast unmerklich geschah es, daß das Kindlein aus seinem
^Etzrsten Stande, der dem traumlosen Tiefschlafe des Ungeborenen
emporwuchs in eine andere Lebensform, die mehr einem
zauberhasten Traumleben ähnlich war. Sein Schlaf blieb wohl so un-
ergründlich wie von Anbeginn. Aber zwischen den schwarzen Schlummer-
tiefen tauchten kleine, bunte Inseln eines wundersamen Traumwachens
empor. Cornelie, es still betrachtend, sann oft darüber nach, wie seltsam
und wie süß die Märchenwelt es nun umspielen müsse. Das, was am
frühesten, am tiessten und klarsten in seinen Schlummer griff, mußten
wohl die Töne sein, so wie auch unser aller schlafendes Ohr noch ge-
össnet ist, wenn die Seele schon tief in Bewußtlosigkeit hinabglitt, und
kein Sinn und kein Gedanke mehr zu ihrem Ruhehasen sührt. Und
so, schon in den ersten Tagen, da noch das Licht den scheuen Blick ver-
wundete, drang doch das Lied des Mütterleins, wohlvernommen, be-
sänftigend in seine ersten kleinen Leiden ein. Amd lange, bevor es ihr
Bild begriff, erkannte es von weither die tröstende Stimme.

Aber allgemach tat auch den Augen sich die Magie der träumerischen
Szene auf. Farbige Lichter schossen daher, Linien, Ringe, zitternde,
tropfende Schauer von Farbe und Licht. So wunderlich geschäh es
uns vielleicht, wenn wir am Grund der Tiefsee unsre Augen ösfnen
könnten, verwirrt zwischen Lichtern und Gestalten, schwebenden, gleiten-

h Septemberheft M2 309
 
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