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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1912)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Ein Vierteljahrhundert Kunstwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0451
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I Iahrg.25 Zweites Septemberheft 1912 Heft24

Ein Merteljahrhundert Kunstwart

ünfAndzwanzig Iahre. Gründete ich den Kunstwart jetzt und
(-^lsähe ebensoweit vorwärts, so käme ich aus das Iahr 19^?. Irr

Dünsten und Wolken eine Zisfer ohne Bild. Mir scheint, so
kann man sich anschaulicher machen, was fünfundzwanzig Iahrgänge
einer Zeitschrist bedeuten.

Ich bitte als um ein Geschenk zu diesem Tage darum, einmal,
dieses eine Mal zu den Lesern von mir selber sprechen zu dürsen.
Damit wir uns für das weitere Stück Weges noch besser verstehn.
Der Beruf des Publizisten meiner Art bringt ja mancherlei mit sich,
was der Draußenstehende kaum beachtet und was doch in sein Ver-
hältnis zum Leser eingreist. Der echte Poet erlöst durchs Wort das,
was in ihm ringt; sein letztes unbewußtes Motiv ist Befreiung für
sich — das in ihm, was sich um die Lrfolge kümmert, ist nicht
mehr der Poet. Der Gelehrte hat sich als solcher um nichts zu
kümmern, als um die Wahrheit dessen, was er schreibt; Erkennen
und Verwalten der Lrkenntnisse ist zweierlei. Der Publizist aber
würde als Schwärmer sinnlos oder als Anterhalter subaltern arbei-
ten, wollte er nicht letzten Endes die Willen bewegen. Itnd nun
spricht er immer wie für den Dialog: auf alles, was er sagt, ließe
sich antworten mit ja oder nein, wenn und aber — und dennoch
nntwortet ihm vom Tausend kaum einer, als etwa mit Zuruf oder
Gruß. Die genügen, um Resonanz fühlen zu lassen, mehr wäre vom
Äbel, es könnte die Sachlichkeit seiner Arbeit verwirren. Da er aber
seinem Worte nicht Ton und Blick mitgeben kann, ist er Mißver-
ständnissen noch weit mehr ausgesetzt, als wer mündlich spricht, und da
er andre zum Wollen zu erregen hat, so wirrt doch jedes Mißver-
ständnis in seine eigentliche Arbeit doppelt bedenklich. Ls ist wenigen
bewußt, daß die meiste Krast des Publizisten sich im Kampf gegen
Mißverständnisse aufbraucht. Auch diefe persönliche Aussprache heut
soll sich bemühen, sie zu mindern.

Was verstehe ich unter „Publizisten meiner Art"? Solche, die
unter der Sachforderung stehn: das könnte werden, es ist gut,
also versuche du es. Dem Poeten, dem Gelehrten mögen seine
Erfolge zum Lebensbehagen dienlich sein, dem Publizisten nicht. Denn
jeder Lrfolg erweitert die Möglichkeiten zu wirken, verpflichtet ihn
also dazu, bereitet neue Arbeit vor, und jede neue verpflichtet wieder.
Aus den Lrzeugnissen seiner Arbeit werden Organe seiner Arbeit,
aus ihrer Gesamtheit wird ein Organismus, aber einer, der sich
Organe angliedern kann, und also, wenn es nützliche sind, an-
gliedern soll. Was anderswo als Linzelwesen im Kampf ums Dasein
stände, wird ja hier von einem Ganzen bedient und dient ihm seiner-
seits, lebt also sicherer und wirkt doppelt. So gilt bei wachsenden
Lrfolgen von vielem: was hier nicht verwirklicht wird, unterbleibt
überhaupt. Also verwirkliche von Nützlichem restlos, so viel du ver-
wirklichen kannst! Dem Publizisten meines Schlages darf es keine

2. Septemberheft 36t
 
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