Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1912)
DOI Artikel:
Riedner, Wolfgang: Die unmoderne Deutsche
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Literaturwissenschaft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0101
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
rückhaltlos zu: der und die verstädterte Durchschnittsdeutsche von heut
könnte einen Zuwachs an Geschmacksempfindlichkeit und -Sicherheit recht
gut brauchen. Fremdländische Anregungen könnten uns hie und da nntzlich
werden. Was wir aber suchen, ist ein deutscher Gegenwartstil sür Haus und
Festsaal. Der schießt nicht mit einem Ruck in die Höhe; es muß eine gute
Weile dran gearbeitet werden. Und soviel steht fest: im Inland, aus dem
Eigensten muß er erarbeitet werden. Ie „beschämend schwerfälliger" unsre
Frauen sich im Verhältnis zur Pariser Modeindustrie verhalten — desto
eher bekommen wir ihn! W. Riedner

Literaturwissenschaft

die ununterbrochen ausgrabende, rodende, ebnende, pflan--
H ^zende, pflegende, beobachtende und fichtende Arbeit auf dem
weiten Feld der Wissenschasten heute mit unbefangenem Blick
betrachtet, gewahrt bald Gebiete, wo die Arbeiter nicht nur ihrer ge-
wohnheitmäßigen Tätigkeit nachgehen, fondern auch noch die Grenzen
gegen äußere Feinde abstecken und verteidigen, gelegentlich sogar ihrem
Arbeitbedürfnis den Arbeitplatz erst erobern mnssen. Es entstehen
gelegentlich neue Wissenschaftsiedlungen. Und dies geschieht gemein-
hin gegen einen gewissen Widersprnch der Vertreter des Bestehenden,
indem die Vertreter des Kommenden ihre Gedanken fammeln, aus
ihrer Entstehung Methoden entwickeln und aus ihrem Zusammenhang
Prinzipien „herausdenken", abstrahieren.

Nun gibt es freilich Wissenschaften, für welche die „Prinzipien"
eine ganz geringe und theoretifch die Methodik eine immerhin noch
untergeordnete Rolle spielt. Denke man etwa an die Tatsachen er-
forschenden Naturwissenschaften. Nicht als ob es mit Naturnotwendig-
keit so sein müßte, — aber tatsächlich gibt es da fehr viele bedeutende
Fachleute, die gegen „das Theoretisieren", gegen „die Prinzipien-
streiterei und -reiterei" eingenommen sind und auf ihrem engeren Ar-
beitgebiet auch ohne dergleichen auskommen; die Methode der For-
schung wechselt hier so ungefähr mit jedem Laboratorium, das man be-
tritt, und mit jedem Buche, das man zur Hand nimmt. Lin großer
Schaden kann dabei kaum entstehen, denn in ihrer zweckmäßigen An-
wendbarkeit sind diese Methoden meist sehr einsach, praktisch, sie sind
zurückzuführen auf Findigkeit, Einfälle und Gesunden Menschenver-
stand mehr als auf tiefsinnige Spekulationen.

Wie nun aber unser Zeitalter viel von seinen gedanklichen Scheide-
werten aus der naturwissenschaftlichen Münzstätte bezieht, so auch
das allgemeine Urteil, daß die Erörterung der Prinzipien, das will
sagen: die Selbstverteidigungen und Selbstbetrachtungen der Wissen-
schaft überhaupt keinen Wert hätten und unfruchtbar blieben.
Dagegen ist nachdrücklich zu betonen, daß dieses allgemeine Arteil min-
destens für weite Strecken der Geisteswissenschaften nichts als ein kurz-
sichtiges Vorurteil ist. Auch hierfür darf die angenehme Linrichtung
des Gesunden Menschenverstandes (der einen großen Anfangbuchstaben
in diesen gelehrten Zeitläuften so gut verdient wie das DeutscheReich oder
die Kaiserlichen Postämter!) ins Feld geführt werden. Oder wird wirklich
einer ihrer Teilhaber ein Haus bauen, über dessen Zweck er sich keine

70 Kunstwart XXV, 20
 
Annotationen