Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1912)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Parsifal
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Briefe bildender Künstler
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0463
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
meines Gesetz, welches das Werk des Künstlers nicht nur bis dreißig
Iahre nach seinem Tode, sondern dauernd vor einem Gebrauche schützen
soll, „der dem Willen seines Schöpfers widerspricht". Ich weiß nicht,
ob er diesen Gedanken zu Ende gedacht hat. Wo sind die Künstler, die
während ihrer Schaffenszeit von Irrtümern so frei sind, daß sie alle Mög-
lichkeiten auch der Kunstpflege überschauen können? Nicht nur für ihre
Gegenwart, sondern als Propheten ein halbes, ein ganzes Iahrhundert
oder länger hinaus, um zu wissen, was dann den veränderten Ver-
hältnissen entsprechen wird? Wenn Wagner wirklich solch einer war,
Bahr will ein für alle gültiges Gesetz, wo sind die andern? Zu-
dem: ein Arheberrecht läßt sich leider Gottes auch verkaufen, es pslegt
sich ^umal von Künstlern in Not sogar recht leicht kaufen zu lassen. So
könnte mit der lex Bahr in der Lasche der Verwalter und Ausnutzer
dieses Arheberrechts eine Geschäftsfirma sein, vielleicht auch eine, welche
den „Schutch von soundso viel Künstlergaben an ihr Volk auf unbe-
schränkte Zeit monopolisiert und ausbeutet, gleichviel welcher. Die „schreiende
Rnzulänglichkeit und Nhnungslosigkeit des geltendeu Nrheberrechts" er-
kenne auch ich nicht nur an, ich behaupte sogar, daß auch die mate-
riellen Interessen der Künstler in vielen Dingen nur scheinbar ge-
schützt sind durch dieses „Iammergesetz", das hauptsächlich den Kunst-
geschäftsleuten dient und den großen Volksinteressen überhaupt nicht.*
Aber eine freie Kunstpflege erreichen wir nicht, indem wir unsre Lnkel
an unbekannte Verwalter von Wünschen längst Verstorbener binden.

Ob es uns schwer oder leicht wird: wir müssen uns mit dem Gedanken
abfinden, daß die Parsifal-Schutzfrist erlischt. A

B

Briefe bildender Künstler

riefe, Worte eines Ausdrucks, der nicht gereinigt, nicht abgezogen,
nicht bezogen ist auf „Leser" sondern auf einen Leser — solche her-
auszugeben, wird für Feinfühlige immer ein Wagnis, sie zu lesen
immer eine Angelegenheit besondrer innerer Spannung, sie mit vollem
Verstehen zu durchdringen stets eine Aufgabe besondrer psychologischer Auf-
merksamkeit und Vorsicht sein. Amd vielleicht bilden hier die Briefe von
Künstlern noch eine besondre äußerste Gattung; denn wir können nicht be-
zweifeln, daß ihren Naturen das Wort als Mittel des Ausdrucks oft so
fern liegt wie kaum irgendwelchen andern Menschen. Es ist häufig zu
einem gewissen Teil ein Spiel mit nicht ganz bekannten Größen, wenn sie
sich des Wortes bedienen; ohne Bild: die Gefühlbetonungen und assozia-
tiven Verknüpfungen der Sprache haben für uns leicht andren Charakter
als für den, der das Tiefste seines Erlebens gewohntermaßen in Worte gar
nicht faßt, sondern in Bilder, nicht in sprechbaren, sondern in schaubaren
Ausdruck. Wer diese Grundtatsache übersieht, wird kaum des vollen Ge-
winns teilhaft werden, den solche Briefe etwa darbieten. Daß dieser Gewinn
trotzdem nichts weniger als ärmlich ist, wo große Persönlichkeiten schreiben,
bestätigt sich bald. Amd gerade weil wir das Wort als des Künstlers
„zweite" Sprache betrachten müssen, glauben wir dadurch tiefer zu blicken.

* Ich bitte darüber zu vergleichen, was ich in der Dürerbund-Flug-
schrift „Arheberschutz und Arheberschatz" zusammengestellt habe.

2. Septemberheft W2

573
 
Annotationen