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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1912)
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Rath, Willy: Zur Kino-Frage
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0378
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Zur Kino-Frage* ,

^^st es nicht merkwürdig im Zeitalter der Äberhastung, daß die Kino-
^^Frage erst in jüngster Zeit so recht brennend ward, obwohl die
^FErfindung doch schon seit s895 zu öffentlichen Vorführungen ver-
wertet wird?

Man erinnert fich noch des Aufsehens, das um jene Zeit die ersten
Leistungen des Kinematographen in den großen Spezialitätentheatern
machten. Zu Berlin gab es WS, fpäteftens f697, schon mindestens
ein befonderes Kinematographentheater; es lag an den „Linden",
war noch befcheiden eingerichtet und wurde nicht ernftlich beachtet. Da
der erfte Apparat, der den Namen Kinematograph führte, von Fran-
zofen (zufällig hießen fie Lumisre) hergeftellt wurde, fehlte es schon
in den frühen Darbietungen der neuen Lrfindung nicht an „pikanten"
Lichtbildszenen. Die Bombenreklame des Berliner Wintergartens für
die Schlafzimmerszene „Endlich allein" bleibt in unferer Erinne-
rung verquickt mit den Anfängen des Kinos. Auch folgten bald,
als die Lichtbilder zum unvermeidlichen Schluß der Variets-Vor-
stellungen wurden, verblüffende und belustigende Zauberfzenen;
durch das einfache Mittel, die logifch überleitenden Augenblicksbilder
nach Belieben wegzulassen, brachte man die tollften Hexenmeifterstück-
chen zuwege. Die feffelnde Wiedergabe von Wirklichkeitvorgängen
(namentlich das Heransausen eines Schnellzugs unter betäubendem
Orcheftergeräufch) stand gleichfalls von Anbeginn auf dem Spielplan
der lebenden Lichtbilder. Die Hauptmöglichkeiten der Kino-Verwer-
tung waren also fogleich erkannt worden.

Weshalb brauchte es nichtsdeftoweniger erheblich mehr als ein
Iahrzehnt, bis fie derartig ausgenutzt wurden, daß unsere Städte groß
und klein mit „Kin-Töppen" überschwemmt werden konnten, die Schau-
fpielhäufer sich zur Abwehr gedräugt fühlten und die Behörden auf
Mittel und Wege für die Eindämmung des Kino-Betriebs zu sinnen
begannen? Das bißchen technifche Vervollkommnung blieb doch Nebey-
fache!

Wir sehen nur den einen Grund: daß mittlerweile vom Ausland
her, namentlich von Frankreich und Amerika, mit größtem Eifer und
gänzlich ungehemmt von künstlerischen Bedenken, kurz: industriemäßig
die Herftellung und der Verschleiß zahlloser fcheindramatifcher Sen-
sationfilms betrieben wurden. Durch die zielbewußte, immer raffi-
niertere Konftruktion brutal-effektvoller Filmpantomimen, die als
„Dramen" bezeichnet werden, und kunstfremder Situationschwänke er-
wuchs den Theatern der gefährliche Wettbewerb. Sind alfo die Kinos
zu bekämpfen, fo heißt das fchon aus gefchichtlichem Grund: vor
allem die „Dramas" — so wird ihre Mehrzahl in Berlin von Volk
und Kindern genannt — bekämpfen.

Daß fie, die rohen Scheindramen ohne Worte, wirklich auch aus
künftlerischen und ethischen Gründen bekämpft werden müssen — daß

* Der Dürerbund wird nächstens eine Flugschrift herausgeben, welche
die Kino-Frage von verschiedenen Standpunkten aus durch Sachverstän-
dige eingehend beleuchtet. Die heutigen Bemerkungen Willy Raths wolle
man als eine Art von Vorläufer dieser größeren Aktion auffassen. K.-L.

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