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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 24 (2. Septemberheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0478
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Rundschau

Kultur und äutzere Politik

s sieht dunkel aus über Europa.
Wir sind es fast schon gewöhnt,
so, als wenn eine Gewitterwolke
gar zu lange am Himmel steht;
man glaubt schließlich nicht mehr
daran, daß sie sich entlädt. Amd
dennoch sind wir im letzten Iahr--
zehnt immer tiefer in die Span-
nung hineingekommen.

Gehen uns Kulturarbeiter diese
Dinge etwas an? Wir wollen im
Kunstwart nicht Politik und gar
noch äußere Politik treiben. Doch
wenn man bedenkt, daß alle Kul-
turarbeit von daher vernichtet wer-
den kann, so muß man sich fragen,
ob nicht vielleicht in der Grund-
kulturstimmung, auf der auch alle
unsre Arbeit ruht und von der
schließlich auch die äußere Politik
abhängig wird, ein Fehler steckt.

Vor kurzem stellte der Lngländer
Perris im „März" die Frage auf,
ob wir Deutschen wohl selbst wüß-
ten, was wir wollten. Wenn ja, so
sollten wir es ums Himmels willen
sagen: über bekannte Dinge einigt
man sich vielleicht, das Mysteriöse
schafft die Beunruhigung. Ein
andrer Engländer namens Morel
gab seinerseits in der „Frankfurter
Zeitung" offene Auskunft über die
beiden Prinzipien der englischen
Politik: s. Anbedingte Vorherrschaft
auf dem Meere, 2. Feindschaft gegen
jede Macht, die auf dem Kontinent
die Vorherrschaft erstrebt. Herr
Morel stellt jene Forderungen der
englischen Politik inmitten eines
von Freundlichkeit überlausenden
Versöhnungsartikels auf. Meines
Wissens hat in Deutschland noch
niemand die entsprechenden Grund-
sätze aufgestellt: s. Unbedingte Vor-
herrschaft auf dem Kontinent, 2.
Feindschaft gegen jede Macht, die

zur See die Vorherrschaft erstrebt.
Ob wir wirklich mit dergleichen un-
mysteriösen Offenheiten weiter kom-
men? Wahrscheinlich würde jedem
Engländer bei einer derartigen
deutschen These das Blut zu Ge-
sicht steigen, wie es mir zu Ge-
sicht gestiegen ist beim Lesen der
These des friedenfreundlichen Herrn
Morel. Bei Licht gesehen formeln
solche Grundsätze nichts als die
natürlichen Ziele jedes nationalen
Egoismus. Aber es ist eine Frage,
ob das Ziele sind, die eine für das
abendländische Kulturzusammen-
leben brauchbare Gesinnung er-
geben. Amd es ist eine weitere und
weitersührende Frage, was für ein
Ziel zu erstreben ist, damit eine für
ein friedliches Kulturleben des
Abendlandes mögliche Gesinnung
erwachse.

Den Nationalegoismus zu
unterdrücken können wir uns ofsen-
bar nicht zum Zweck setzen. Gleich-
viel, ob das wünschenswert wäre
oder nicht, es ist utopisch. Aber
es ist auch unnötig. Richten wir
uns denn im eigenen Volk danach
ein, daß der Egoismus unterdrückt
werde? Es ist bekanntlich bis heute
noch ein Streit der Ethiker, ob
eine rein altruistische Gesinnung
möglich oder auch nur wünschens-
wert sei. Trotzdem haben wir den
Frieden im eignen Volk. Nicht als
ob aller Streit aufgehört hätte.
Aber wir streiten mit friedlichen
Waffen und in friedlichem Wett-
bewerb. Sollte sich ein solches Ziel
nicht auch sür den europäisch-ameri-
kanischen Kulturzusammenhang auf-
stellen lassen?

Der Streit dreht sich zumeist nm
die Kolonien. Wir haben die kolo-
nialkapitalistischen Staaten der
Tripelentente und die kolonialpro-

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