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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 23 (1. Septemberheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0402
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Nundschau

Lichter und Spiegel

achgerade Landplage ist das
Schwatzen von Bildung ge-
worden, dem Kulturempfindenden
ärgerlicher als dem Naturfreund
der Autostaub an trockenen Som-
mertagen. Werden wir doch end-
lich herzhafter und stellen die
schulmeisternden Bildungsleute
nicht auf so hohe Sockel. Ge-
wordene Werte ruhen gut in den
Händen der „Gebildeten" — als zu-
verlässige Schatzbewahrer sind allein
sie brauchbar, denn sehr Bedeu-
tende sind in Dingen, die an der
Peripherie ihres Schaffenskreises
liegen, immer unzuverlässig. Aber
das Heil der Zeit liegt nie bei
den Gebildeten, sondern bei
den Schöpferischen. Wenn
schon Schubfächer sein sollen, dann
keine Etiketten: Durch-, Halb-, An-
gebildete- sondern: Lichter und
Spiegel oder: Schöpferische und
Unschöpserische.

Gewiß wirkt es erheiternd auf
uns, an einem Literaturprofessor
die feierlichen Gesten zu beob-
achten, die nicht einmal seinem
Lehnsherrn, dem schaffenden Dich-
ter, ziemten, und alle die kleinen
Fremdenführerunarten sind um so
entschuldbarer, als der Mensch nur
zu leicht die Sitten seiner Am-
gebung annimmt. Wer lebenslang
mit den Größten dieser Erde geistig
verkehrt als Dienender, der zu
sichten, zu erklären, gar auch zu
„verzeihen" hat, fällt leicht in den
Bedientenbrauch: wir haben Be-
such, wir haben Versammlung.

Aber die Äberschätzung der Nur-
Gebildeten ist nicht ungefährlich für
die Bauleute, in deren Hirn die
Zukunft der Nation ruht, denn
ihnen sehlen meist die schöngesal-
teten Gewänder, über die der ord-

nende, reproduktive Geistesarbeiter
von Natur eher verfügt. Dazu ist
zu rechnen, daß auch ein wenig
Selbsterhaltungstrieb den Nur-Ge-
bildeten ihren Besitz unter der
Lupe vergrößert zeigt. So bietet
sich uns in dieser Zeit der Bil-
dungsüberschätzung das merkwür-
dige Schauspiel grell beleuchtet: daß
immer wieder die Eigentlichen, die
Schasfenden, die Gebenden als
scheinbar Nehmende vor
den unschöpferischen Bermittlern,
den „Kennern" stehen, vor ihnen,
die doch ihre und ihresgleichen
Lehnsleute sind, und die Hausglocke
ziehen. Welche Verwirrung er-
zeugt solcher Anblick in den Köp-
fen der nicht unmittelbar Beteilig-
ten, denen die tiefere Einsicht fehlt!
Die Folgen sind dnmm für alle.
Der unverstandene Bruckner sagte:
„Ich kann warten." Schön, er
konnte es. Aber es kommt ja gar
nicht auf den Künstler an, der
die Menge nicht zu seiner Reife
braucht: seine Zeitgenossen
brauchen ihn, ihn und den Gott,
den er zu osfenbaren gekommen ist.

Der Instinkt für schöpserische
Größe ist im Grunde sast überall
noch da, aber auch überall tritt
vor das Anmittelbare das Mittel-
bare, um abzulenken. Vor die
Dichtung die Literaturgeschichte, vor
die Kunst die Kunstgeschichte.
Machen wir uns die Bahn nicht
frei, so werden die Böcklins und
Weltis weiter in den Iahren ihrer
vollsten Kraft nur für sich und
nicht für ihre Zeitgenossen schaffen.

Kurt Kluge

Arntsdeutsch und Schwüle

m ch. April dieses Iahres
schrieb Richard Schaukal in
einer Abhandlung „Amtsdeutsch":

s. Septemberheft 323
 
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