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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 23 (1. Septemberheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0403
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„Daß Mitteilungen der Behör-
den an die Bevölkerung — Partei
wie Publikum — klar sein müßten,
scheint eine billige Forderung.
Kürze der Deutlichkeit bleibt bloß
wünschenswert. Denn Kürze im
klaren Ausdruck ist Talentsache.
Hier setzt das Gebiet des Stils ein.
Stil aber ist ein Kunstmittel ersten
Ranges. Das Gehör für die Sprache
fehlt uns längst. Man erprobt's
ja an den Berufenen, den Schrift--
stellern. Die deutsche Sprache —
dies zur Erklärung — ist in ihren
Wurzeln verderbt. Seit dem Drei-
ßigjährigen Krieg etwa."

Dreizehn Tage vorher, am 2.
April, schrieb derselbe Richard
Schaukal einen Artikel: „Schwüle.
Versuch einer Deutung der Zeit."
Der Versuch einer Deutung der
Zeit ist volle vierzig Zeilen lang.
Die fünfzehn ersten Zeilen davon
lauten so:

„Die Schwierigkeiten, die wegen
der unübersehbaren Verzweigung
der Forschung heute das Durchar-
beiten der einzelnen Wissenschaften
behindern, ja, dem beflissenen Laien
es unmöglich machen, auch nur die
zusammengedrängten Lrgebnisse
mehrerer zu vereinigen, haben —
trotz der eben jetzt um sich greifen-
den Unsitte der ebenso behenden wie
im Grund wertlosen, weil unwirk-
samen Verallgemeinerung eben jener
Ergebnisse — ein Vorurteil gezeitigt,
dem in unserer Zeit, da man allent-
halben mutlos Verantwortung scheut
und alles Einfache verwirrt, einmal
mit kräftiger Gegenmeinung zu be-
gegnen vonnöten ist, dem Vorurteil,
als hätte diese beängstigend sichstei-
gernde Häufung von — gewiß der
Achtung würdigen — Linseitigkeiten
und Besonderheiten irgend etwas
am Wesen der Dinge und ihren
gesetzmäßigen Verhältnissen geän-
dert, als wäre nunmehr unbelastet
sich selbst vertrauender Erkenntnis

die fruchtbringende Entfaltung ver-
boten, die Bahn auf immer ver-
legt.«

Ia freilich, Herr Richard Schau-
kal: Das Gehör für die Sprache
fehlt uns längst. F. Z.

Dichter und Bauer

Alfred Huggenberger, „Hinterm
Pflug". Verse eines Bauern. (Frauen-
feld, tzuber L Co.)

an ist, nicht ganz mit Am°
recht, mißtrauisch geworden
gegen neue Entdeckungen von
„Volksdichtern", das heißt von
Dichtern aus Volksschichten, denen
man im allgemeinen keine aus-
reichende Bildung für ernstlich-
künstlerisches Schaffen zutraut. Da
erlebt man denn eine Freude sel-
tener Art, wenn einem ein Verse-
buch wie „Hinterm Pflug" und
dahinter eine Persönlichkeit wie der
Schweizer Alfred Huggen-
berger begegnet.

Der Mann und sein Buch sind
so klar und harmonisch, daß eine
genauere Kenntnis der besonderen
Charakterumrisse hier noch mehr
als bei der meisten übrigen Lhrik
auf die Bekanntschaft mit den Ge-
dichten selber angewiesen bleibt.
Es fehlen subjektive Eigentümlich-
keiten, Formkuriositäten und —
Fehler, die bequemeren Handhaben
der kritischen Charakteristik. Die
Wesenseigenheit des Dichters tritt
dagegen bei aller Ruhe der Dicht-
sorm, ja eben durch diese Ruhe
kräftig hervor.

Huggenberger ist ein wirklicher
Poet und zugleich ein wirklicher
Bauer, beides zum Beispiel mehr
als sein beschaulicher schwäbischer
Doppelkollege Christian Wagner,
und in beidem ist er, gleich Wag-
ner, von ausgesprochen deutscher
Gemütsart.

Die Stärke seiner Lhrik liegt
näher beim Musikalischen als beim

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