Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1912)
DOI Artikel:
Rundsschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0170
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
lich, beim Erkennen ist vor allem
wertvoll das Erkannte; wie wir da--
zu gelangen» ist weniger wichtig.
Beim Glauben jedoch liegt der
Wert im persönlichen Erleben, im
Glauben selbst; der Glaubensaus-
druck hat nur den relativen Wert
des Verständigungsmittels für uns
selbst und andere.

Mit der Wertverschiebung vom
religiösen Erleben auf den Glau-
bensausdruck mußte die Religion
notwendig einer Krise zutreiben.
Wenn ein Mensch von Iugend auf
gelehrt wird, diesen oder jenen Satz
müsse er glauben, und wenn dann
doch dieser Satz für sein inne-
res Leben niemals Bedeutung ge-
winnt — eben weil sein Inhalt und
Wert immer nur für den gilt, der
ihn wirklich erlebt —, dann ist
die Folge, daß der Glaube histo-
risch und der Mensch um ein Er--
lebnis ärmer wird. Den persön-
lichen Glauben und das Geglaubte
wieder zu einer Einheit zusammen-
zubilden, den Glaubenssatz zum
wahren Ausdruck des religiösen Er-
lebens zu machen, muß das Ziel
aller derer sein, die überhaupt Wert
auf lebendige Religion legen.

Um dieses Zusammenbilden schon
in der Schule an Stelle der bloßen
Lehrüberlieferung durchzuführen,
hat sich unlängst eine Anzahl von
Männern und Vereinen zu einem
Bund für Reform des Religions-
unterrichts zusammengeschlossen.
Sie hielten kurz nach Ostern ihre
erste Haupttagung in Dresden ab.
Ihren eigentümlichen Charakter er-
hielt diese Tagung vor allem durch
die Tätigkeit der Vorsitzenden Pro-
fessor Weinel und Rektor Spa -
nuth sowie durch die Reden des
Prosessors Niebergall. .N/:

Die Aufgabe kann von zwei ver-
schiedenen Seiten angefaßt werden.
Einmal von der theologischen:
es gilt entweder den Glaubensaus-

druck unsrer Zeit, sofern sie Glau-
ben hat, zu formulieren, oder die
Glaubenslehren vergangener Zeiten
so zu gestalten, daß sie uns Heuti-
gen überhaupt erlebbar sind. Die
persönliche Arbeit am einzelnen
Kinde ist dagegen Sache der Pä-
dagogen. Ihre Aufgabe ist,
mit den Hilfsmitteln, die ihnen die
Psychologie bietet, das Aufkeimen
des religiösen Erlebnisses vorzube-
reiten, es zu pflegen und vor Miß-
bildung oder Vernichtung zu schüt-
zen. Wie das erziehungstechnisch
geschehn soll, ob allein durch Dar-
bietung eines guten und sorgfältig
gewählten Stoffes oder durch Ein-
wirkung des Lehrers selbst auf die
Gesinnung des Kindes, darüber
gehen die Meinungen auseinander,
und diese Trennung zieht sich quer
durch das Lager nicht nur der Pä°
dagogen, sondern auch der Theo-
logen. Eine zweite Trennung der
Reformfreunde ist durch die Frage
des konfessionellen Unterrichts ge-
geben. Die meisten Theologen —
nicht alle — befürchten von einem
konfessionslosen Amterricht eine
Verflachung der Religion. Anter
den Pädagogen dagegen ist eine
starke Strömung vorhanden, welche
die Scheidung der Kinder nach
Konfessionen für unvereinbar mit
den Grundsätzen der Religion Iesu
und für menschlich und staatsbür-
gerlich bedenklich hält. Die Freunde
des konfessionslosen Anterrichts
wieder scheiden sich in solche der
Freiheit und in solche des Zwan-
ges. Die einen möchten es den
Eltern anheimgeben, ob sie ihre
Kinder in den Religionsunterricht
schicken wollen; die andern behaup-
ten, zu einem konfessionslosen Re-
ligionsunterricht müßte der Staat
alle Kinder zwingen, auch die der
Iuden und Dissidenten, denn das
Christentum sei eine der wichtig-
sten, vielleicht die wichtigste Bil-

2. Iuliheft M2 M
 
Annotationen