bindet sich aber gleichmäßig gut
die Unkenntnis der wirklichen Per-
hältnisse am Theater und> des wirk-
lichen Verhältnisses seiner Freunde
zu ihm. Ich glaube nicht zu viel
zu sagen mit dem Satz, daß die-
jenigen Kritiker in Deutschland, die
etwas vom Theater, aber nichts von
Dichtung verstehen, ebenso häufig
sind wie die Poesiekundigen, denen
das Theater fremd ist; beide zusam-
men mögen so zahlreich sein wie die
dritte Gruppe, die von beiden nichts
versteht und alle drei mögen vier
Fünftel der Kritik bestimmen. Das
bleibt natürlich dahingestellt. Hier
soll jedenfalls in einem Sinne vom
Theater gesprochen werden, der mit
Literatur nichts, mit dem Betrieb
aber auch nichts zu tun hat: von
der Stellung des Theaters
im Wesen der Gesellschaft.
Aatürlich nicht, sofern es etwa An-
laß zu geselligen Ereignissen, vom
Hosfest bis zur Anknüpsung in-
timer Verhältnisse bildet, sondern
sofern es die geistigen und mensch-
lichen Interessen fesselt und auf sie
einwirkt. Nochmals: vom Werte,
auch vom moralischen, soll dabei
nicht die Rede sein.
Wer heute noch ernsthaft von der
„moralischen Anstalt", genannt
Theater, spricht, muß sich ja ohne-
hin auf ein sehr ironisches Lächeln
gefaßt machen; wenigstens wenn er
dabei an die moralisch vorbildliche
Wirkung der Schaubühne denkt.
Die Dichtung schon ist von der Vor-
bildlichkeit zur anschaulichen Auf-
klärung auch des nichts weniger
als Vorbildlichen übergegangen, und
die Darstellung solgte ihr in die
heiß erstrebtsn „dunkeln Tiefen des
Daseins"; so wichtig wurde das den
Zeitgenossen, daß die alte Moral
von der neuen „Unmoral^ im
Theater geradezu diskreditiert wurde.
Erwachsene gehen heute nur noch
in den Don Carlos, um eine neue
Besetzung oder Inszenierung zu
sehen, und Reinhardt gab ihn in
Berlin als eine entmoralisierte
erotische Intrige, Hauptrolle: Eboli.
Er wußte was er tat.
Gleichzeitig aber nahmen die stän-
digen Theater, die auf Geschäft aus-
gehenden Theater und die Zahl
der Berufschauspieler schnell und
stark zu — Hoftheater wurden zu
freien oder städtischen Anter-
nehmungen oder verbürgerlichten —,
so daß heute schon in ziemlich
kleinen Städten die Bürgerschaft
mit der Welt der Bretter ständig in
Berührung kommt. Gewiß wird
diese Vermischung zweier weder ein-
ander lösender noch restlos misch-
barer Elemente nie dauernd eine
gewisse Grenze übersteigen, die viel-
leicht heute schon vorübergehend
überschritten ist. Aber es gibt doch
zum Beispiel jetzt, was es früher
nicht gab: „anständige" Theater-
angehörige und sogar sonst ziem-
lich philiströse Bürger, die an solche
glauben.
Durch die Eingemeindung in die
große bürgerliche Gemeinschaft sind
den Theaterleuten nun mancherlei
soziale Erlebnisse erwachsen, die
ihnen lange fremd bleiben mußten:
einmal im Bewußtsein von der
Würde und Bedeutung ihres Stan-
des und Berufes, psychologisch
kenntlich an der Empfindlichkeit
gegen Geringschätzung und der halb-
latenten argwöhnischen Witterung
einer solchen; dann das heute so
vielfach laut werdende Streben nach
materieller Sicherung, die dem
neuen sozialen Selbstbewußtsein
einen genügenden Rückhalt gewäh-
ren soll; im Zusammenhang damit
ein Gemeinschastgefühl der Beruf-
genossen — nicht minder erfreulich
als jenes Streben erscheint ja die
warme Mithilfe, welche die Begün«
stigteren dabei den minder Erfolg-
reichen zuteil werden lassen, sowohl
tz Septemberheft
3Zl
die Unkenntnis der wirklichen Per-
hältnisse am Theater und> des wirk-
lichen Verhältnisses seiner Freunde
zu ihm. Ich glaube nicht zu viel
zu sagen mit dem Satz, daß die-
jenigen Kritiker in Deutschland, die
etwas vom Theater, aber nichts von
Dichtung verstehen, ebenso häufig
sind wie die Poesiekundigen, denen
das Theater fremd ist; beide zusam-
men mögen so zahlreich sein wie die
dritte Gruppe, die von beiden nichts
versteht und alle drei mögen vier
Fünftel der Kritik bestimmen. Das
bleibt natürlich dahingestellt. Hier
soll jedenfalls in einem Sinne vom
Theater gesprochen werden, der mit
Literatur nichts, mit dem Betrieb
aber auch nichts zu tun hat: von
der Stellung des Theaters
im Wesen der Gesellschaft.
Aatürlich nicht, sofern es etwa An-
laß zu geselligen Ereignissen, vom
Hosfest bis zur Anknüpsung in-
timer Verhältnisse bildet, sondern
sofern es die geistigen und mensch-
lichen Interessen fesselt und auf sie
einwirkt. Nochmals: vom Werte,
auch vom moralischen, soll dabei
nicht die Rede sein.
Wer heute noch ernsthaft von der
„moralischen Anstalt", genannt
Theater, spricht, muß sich ja ohne-
hin auf ein sehr ironisches Lächeln
gefaßt machen; wenigstens wenn er
dabei an die moralisch vorbildliche
Wirkung der Schaubühne denkt.
Die Dichtung schon ist von der Vor-
bildlichkeit zur anschaulichen Auf-
klärung auch des nichts weniger
als Vorbildlichen übergegangen, und
die Darstellung solgte ihr in die
heiß erstrebtsn „dunkeln Tiefen des
Daseins"; so wichtig wurde das den
Zeitgenossen, daß die alte Moral
von der neuen „Unmoral^ im
Theater geradezu diskreditiert wurde.
Erwachsene gehen heute nur noch
in den Don Carlos, um eine neue
Besetzung oder Inszenierung zu
sehen, und Reinhardt gab ihn in
Berlin als eine entmoralisierte
erotische Intrige, Hauptrolle: Eboli.
Er wußte was er tat.
Gleichzeitig aber nahmen die stän-
digen Theater, die auf Geschäft aus-
gehenden Theater und die Zahl
der Berufschauspieler schnell und
stark zu — Hoftheater wurden zu
freien oder städtischen Anter-
nehmungen oder verbürgerlichten —,
so daß heute schon in ziemlich
kleinen Städten die Bürgerschaft
mit der Welt der Bretter ständig in
Berührung kommt. Gewiß wird
diese Vermischung zweier weder ein-
ander lösender noch restlos misch-
barer Elemente nie dauernd eine
gewisse Grenze übersteigen, die viel-
leicht heute schon vorübergehend
überschritten ist. Aber es gibt doch
zum Beispiel jetzt, was es früher
nicht gab: „anständige" Theater-
angehörige und sogar sonst ziem-
lich philiströse Bürger, die an solche
glauben.
Durch die Eingemeindung in die
große bürgerliche Gemeinschaft sind
den Theaterleuten nun mancherlei
soziale Erlebnisse erwachsen, die
ihnen lange fremd bleiben mußten:
einmal im Bewußtsein von der
Würde und Bedeutung ihres Stan-
des und Berufes, psychologisch
kenntlich an der Empfindlichkeit
gegen Geringschätzung und der halb-
latenten argwöhnischen Witterung
einer solchen; dann das heute so
vielfach laut werdende Streben nach
materieller Sicherung, die dem
neuen sozialen Selbstbewußtsein
einen genügenden Rückhalt gewäh-
ren soll; im Zusammenhang damit
ein Gemeinschastgefühl der Beruf-
genossen — nicht minder erfreulich
als jenes Streben erscheint ja die
warme Mithilfe, welche die Begün«
stigteren dabei den minder Erfolg-
reichen zuteil werden lassen, sowohl
tz Septemberheft
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