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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 23 (1. Septemberheft 1912)
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0439
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weltchen teilt, wie es räumlich wird, auseinanderwächst, wie aus den
Farbflecken organisches Dasein wird. Freilich — unser Blatt ist eine
mechanische Viersarbenautotypie, keine Abersetzung, nur eine Verkleinerung
und Verdünnung des Originals. Unsre Leser wissen ja, wie wenig respekt--
voll wir über diese noch unentbehrliche Reproduktionsart denken.

Widmen wir unsre Bilder heute einmal der Heide und gehen wir von
Sylt nun an ihre klassische Stelle, in die Lüneburger Heide, und zumal
in die Gegend um Wilsede herum, die nun, gottlob, als Naturschutzgebiet
gerettet ist! Karl Holleck-Weithmanns kleines und deshalb für
unsre Reproduktion kaum wesentlich verkleinertes Werkchen zeigt uns
mit einfachen Mitteln und in ganz anspruchsloser Weise ein typisches
Bild daraus in schöner und wahrer Farbenharmonie. Es gibt viel-
leicht, von alten Kirchen und Burgen abgesehen, nichts Ehrwürdigeres in
Deutschland als manche Hütten und Häuser der Heide; eine uralte Kultur
bis von jenen Zeiten her, da man überm Herde noch keinen Schornstein
kannte, träumt mit ihnen in die lustkreuzerdurchschifften Winde der Ge-
genwart, durch die der Nntennenturm drahtlose Gespräche hext. Die
Heide, die der Vflug noch nicht gebrochen hat, und die Altertümlichkeit
ihrer Bauten, sie beide gehören zusammen.

Wo aber die großen Bäume vor den Weiten zurücktreten, daß sie
sich dehnen, den Lüsten und den Lichtern zum Spielplatz, da wächst auch
Größe der rein landschaftlichen Stimmung überwältigend schön übers
Heideland. Ernst Froboese hat mit zwei großen Zeichnungen aus
der Nähe von Wilsede einiges davon mit Glück zu bannen gesucht.
Neben der Kiefer, die auch hier zur „Wetterkiefer" wird, wohnt auf den
öden dort vor allem der Wacholder. Dem scheint es nirgend in der
Welt so wohl, wie hier, wo er bald unter größeren Baumgesellen sich
ruckt und duckt, bald hinausstelzt ins Leere und die Weiten mit ernsten
steifen Feiergestalten durchzieht und durchsteht. N

^»nsre Notenbeilage enthält zwei kleine Klavierstücke von En-
^4-rico Bossi und von Walter Lampe. Die Notenhefte, aus
denen sie entnommen sind, finden sich in der Rundschau von Hest 2s
dieses Jahrganges ausführlich besprochen, und die Leser sind gebeten,
jene Besprechung heranzuziehen. Wir weisen hiermit nur nochmals auf
die Miniaturen Bossis und die Vier Klavierstücke Lampes als auf recht
rcpräsentative Zeugnisse einer feinen, verinnerlichten modernen Kunst hin.
— Nicht ohne tieferes Interesse wird man vielleicht nationale Eigenart in
den beiden hier vorgelegten Proben nachzufühlen suchen. Der Italiener
spricht mit ungemein ausdruckvoller Gebärde, der ganze bezwingende
Gestus vornehm-fühlsamer Beredsamkeit liegt in dem eigenartig gesührten
melodischen Zuspruch dieser s„Soa8o!aliou", die einen Grundgedanken in
der subtilsten Form wiederholt und immer aufs nene eindringlich macht;
der rhythmisch ganz gleichförmige Baß gibt der beredten lLtimme nur die
Klangfarbe, die dem Gedanken eingeschmiegte Nuance; endlich endet das
Spiel in dem „ckranguMoch das alle unruhige Gestik in affektischen Wohlklang
auflöst. Der deutsche Tondichter hat kein stofflich festumrissenes Thema —
das Wort „Intermezzo" sagt nichts —, seine Musik ist nur Gefühlsaus-
druck. Seine Tonsolgen wollen nichts eindringlich machen, das gedachte
Gegenspiel fehlt ihnen. Dafür ist das ganze Tonstück in sich reicher aus-
gestattet, die Mittelstimmen haben etwas zum Ausdruck des Ganzen beizu-
tragen, wollen gehört (und gespielt!) sein; das Thema wird nicht als Vor-
bereitung benutzt und gesteigert, sondern gleichsam mehr ausgekostet und
schließlick) in beschaulicher Ruhe wieder ausgenommen. — Natürlich soll
mit alledem nicht gesagt sein, daß für Bossi die Art dieses Intermezzos
und für Lampe die der „Lormolmion" unzugänglich wäre. Aber beide
scheinen uns hier nationale künstlerische Tendenzen recht rein ausgeprägt
zu haben, was in so kleinen Formen ein Meisterstücklein bedeutet. Und
gelegentliche Betrachtung nach solchen Gesichtspunkten fördert wohl auch
die Auffassung dessen, der nur spielen und genießen will.

tzerausgeber: vr.d.o. Ferd.Avenarius inDresden-Blasewitz;verantwortl.:dertzerausgeber—
Verlag von Georg D. W.Callwey, Druck von Kastner L Callwey, k. tzofbuchdruckerei in München —
In Ssterreich-Nngarn für tzerausgabe u. Schriftleitung verantwortl.: vr. Nich. Batka in Wien XIIl/6

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