meiner Idee beständig fort, ein ausgeführtes Bild, ich sehe es vor Augen,
ich sehe sich die Figuren bewegen, deutlich, ich könnte es kopieren und
kann es doch nicht. Es ist leider kein Traumbild, das mich umgaukelt,
es steht, lebt und webt immer in mir, und doch ist es wieder Traum,
denn es verfliegt mit Tücke, wenn ich es wieder zeichnen will: doch
was hilft es, wenn ich Euch, lieben Eltern, von meinem Taumel be--
nachrichtige, das beste, ich nehme Vernunft an und denke an das trockene
und doch so wahre Wort Schadows, der diese Komposition ruhig besah
und sagte: „Wählen Sie einfachere Gegenstände zum Komponieren, das
ist viel zu viel, Sie sind dem noch nicht gewachsen." — And er hat
nur zu recht: ich will ihm folgen, will mich mit Gewalt bekämpfen, will,
wenn die Gedanken wiederkommen, sie wie Sünden niederdrücken, doch
das innere Feuer wird weiterglimmen, und wird einmal um so mehr
zünden, aber auch wärmen dabei. Liebe Mutter, das unsichtbare Bild
wird mich von ferne begleiten, wird vielleicht zeitenlang ganz vergessen
sein, wird aber auch mit erneuter Gewalt hereinbrechen, wenn ich es
herabbeschwöre. ((8^3)
(^h, es gibt Momente im Leben, wo man sich so rein fühlt, rein
^Geist, wo alle körperlichen Sorgen so nichtig sind; sollte mit festem
Willen, mit heiliger Kraft nicht dieser Zustand sich in unser tiefstes
Leben senken können, wie schön und erhaben ist der Gedanke. Der
bessere Mensch, sein Geist ist sein Gott, der auf das innigste verbunden
ist mit der freien, frischen Natur. — Da hatten wir vorige Woche ein
altes Scherenschleiferchen aufgegabelt zum Malen, ach, der gute Mann
war so begeistert von der Kunst. — Das hätte ich mein Leben nicht ge-
dacht, das ist zwei Stnfen über die fünf Sinne, wenn ich jung wäre,
auf der Stelle würde ich Maler. — Wer so in alle Naturkräfte ein-
geweiht wäre, wer so in der Natur lebe und male, der müsse tugend-
haft bleiben, der reicht Gott selbst die Hand; da sieht man, wie in den
geringsten Leuten der göttliche Funke glimmt. — Er focht zuletzt mit
den Händen vor Begeisterung, daß man sich in Schußweite halten mußte,
ich habe ihn gezeichnet an die Wand. (M5)
ber antike Kunst, Mythologie, wozu ich mich ungeheuer hingezogen
^>fühle, deren wahren Sinn ich aber noch gar nicht erfaßt und
verstanden habe, wirst Du, lieber Vater, mich einmal recht belehren,
und ich will auf Deine Worte lauschen wie auf Orpheus' Gesang, ach
Gott, war ich den vorigen Herbst ein Narr oder ein Kindskopf, daß ich
auch keine vernünftige Silbe geredet habe, ich möchte weinen, wenn ich
an die schöne Zeit denke, was hätte ich nicht alles erfahren können,
worüber ich jetzt so unklar bin, lieber Vater, Du mußt mir leuchten,
meine ganze Richtung erhellen, und leiten, sonst, das fühle ich, tappe
ich, wie so viele andere, ewig im Finstern herum, ich kenne Deine Poesie
und Deine Kenntnisse, welch ein Glück habe ich doch vor so vielen, die
keinen so prächtigen, liebevollen Vater haben, wie ich. Ha, eben sehe
ich anf, und die Abendsonne bescheint in meinem Zimmerchen das ernste,
sinstere Angesicht meines polnischen Iuden mit dem schwarzen, zottigen
Haar und Bart, er schaut mich finster und durchdringend an, als wollte
er sagen: „Du Nichtsnutziger, wie hast du deine schöne Zeit vergeudet,
378 Kunstwart XXV,
ich sehe sich die Figuren bewegen, deutlich, ich könnte es kopieren und
kann es doch nicht. Es ist leider kein Traumbild, das mich umgaukelt,
es steht, lebt und webt immer in mir, und doch ist es wieder Traum,
denn es verfliegt mit Tücke, wenn ich es wieder zeichnen will: doch
was hilft es, wenn ich Euch, lieben Eltern, von meinem Taumel be--
nachrichtige, das beste, ich nehme Vernunft an und denke an das trockene
und doch so wahre Wort Schadows, der diese Komposition ruhig besah
und sagte: „Wählen Sie einfachere Gegenstände zum Komponieren, das
ist viel zu viel, Sie sind dem noch nicht gewachsen." — And er hat
nur zu recht: ich will ihm folgen, will mich mit Gewalt bekämpfen, will,
wenn die Gedanken wiederkommen, sie wie Sünden niederdrücken, doch
das innere Feuer wird weiterglimmen, und wird einmal um so mehr
zünden, aber auch wärmen dabei. Liebe Mutter, das unsichtbare Bild
wird mich von ferne begleiten, wird vielleicht zeitenlang ganz vergessen
sein, wird aber auch mit erneuter Gewalt hereinbrechen, wenn ich es
herabbeschwöre. ((8^3)
(^h, es gibt Momente im Leben, wo man sich so rein fühlt, rein
^Geist, wo alle körperlichen Sorgen so nichtig sind; sollte mit festem
Willen, mit heiliger Kraft nicht dieser Zustand sich in unser tiefstes
Leben senken können, wie schön und erhaben ist der Gedanke. Der
bessere Mensch, sein Geist ist sein Gott, der auf das innigste verbunden
ist mit der freien, frischen Natur. — Da hatten wir vorige Woche ein
altes Scherenschleiferchen aufgegabelt zum Malen, ach, der gute Mann
war so begeistert von der Kunst. — Das hätte ich mein Leben nicht ge-
dacht, das ist zwei Stnfen über die fünf Sinne, wenn ich jung wäre,
auf der Stelle würde ich Maler. — Wer so in alle Naturkräfte ein-
geweiht wäre, wer so in der Natur lebe und male, der müsse tugend-
haft bleiben, der reicht Gott selbst die Hand; da sieht man, wie in den
geringsten Leuten der göttliche Funke glimmt. — Er focht zuletzt mit
den Händen vor Begeisterung, daß man sich in Schußweite halten mußte,
ich habe ihn gezeichnet an die Wand. (M5)
ber antike Kunst, Mythologie, wozu ich mich ungeheuer hingezogen
^>fühle, deren wahren Sinn ich aber noch gar nicht erfaßt und
verstanden habe, wirst Du, lieber Vater, mich einmal recht belehren,
und ich will auf Deine Worte lauschen wie auf Orpheus' Gesang, ach
Gott, war ich den vorigen Herbst ein Narr oder ein Kindskopf, daß ich
auch keine vernünftige Silbe geredet habe, ich möchte weinen, wenn ich
an die schöne Zeit denke, was hätte ich nicht alles erfahren können,
worüber ich jetzt so unklar bin, lieber Vater, Du mußt mir leuchten,
meine ganze Richtung erhellen, und leiten, sonst, das fühle ich, tappe
ich, wie so viele andere, ewig im Finstern herum, ich kenne Deine Poesie
und Deine Kenntnisse, welch ein Glück habe ich doch vor so vielen, die
keinen so prächtigen, liebevollen Vater haben, wie ich. Ha, eben sehe
ich anf, und die Abendsonne bescheint in meinem Zimmerchen das ernste,
sinstere Angesicht meines polnischen Iuden mit dem schwarzen, zottigen
Haar und Bart, er schaut mich finster und durchdringend an, als wollte
er sagen: „Du Nichtsnutziger, wie hast du deine schöne Zeit vergeudet,
378 Kunstwart XXV,