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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 24 (2. Septemberheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0485
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nur für den Ausdruck dessen ge-
halten haben, was Rodin als
warmfühlender Künstler in den
Körper sozusagen hineingelegt habe,
während in Wirklichkeit der Körper
der Venus von Milo, wie schön
er auch sein möge, doch gerade
nicht Seelenleben ausdrücke.
In Wirklichkeit trifft der Künstler
mit seiner Intuition genau das,
was auch wissenschaftlich nach in
neuester Zeit gemachten Entdeckun-
gen im höchsten Grade wahrschein-
lich gemacht werden kann: daß die
verschiedenartige Einstellung und
Haltung der Rumpfmuskeln auf den
Klang der Stimme von bestimmen-
dem Einfluß sei. Alles, was wir
beim Anhören von Sängern und
Schauspielern an ihrer Stimme
als hell oder dunkel, weich oder
metallisch hart, groß oder klein be-
zeichnen, rührt in der Hauptsache
von der gewohnheitsmäßigen Hal-
tung und Form des Rumpfes her.
Alle diese Klangeigenschaften der
Stimme sind aber, so wissen wir
jetzt, Ausdruck des Seelischen eben-
so, wie alle Arten der Haltung,
die man gewohnheitsmäßig seinem
Rumpfe gibt, und die auf den
Klang der Stimme Einfluß haben.

Es ist nicht bloß etwa eine
Redensart, wenn man vom seeli»
schen Ausdruck im menschlichen
Rumpfe, also in den äußeren For-
men von Brust und Rnterleib
spricht. Was sich in den Werken
unsrer Ton- und Sprachdichter,
unsrer Maler und Bildhauer, dort
in Tönen und Worten, hier sicht-
bar ausdrückt, nämlich die Art und
Weise ihres Gemütslebens, vor
allem ihres Temperamentes, das
drückt sich auch in den Formen des
Rumpfes, in ihrer Körperhaltung
aus. Die gestreckte, wenn auch nicht
große Gestalt Richard Wagners
verrät sofort sein energisches, star-
kes Fühlen, die gedrungene Gestalt

Anton Bruckners mit dem vor-
geschobenen Unterleib und der nach-
giebig schlaffen Art seiner Haltung
sein mildes, doch warm-Iebhaftes
Fühlen. Die Gestalten Goethes
nnd Schillers weisen unverkennbare
Unterschiede ihrer Rumpfhaltung
auf, die, von Besonderheiten des
Körperbaues abgesehen, ungefähr
dem Amterschied zwischen der Kör-
perhaltung Mozarts und We-
bers gleichzustellen sind. Das sind
allerdings auch nur allgemeine Be-
hauptungen. Es fragt sich, worin
sich diese Rumpfhaltungen unter-
scheiden und wie man es praktisch
anfangen muß, um bei anderen und
bei sich selbst den gewohnheitsmäßi-
gen Ausdruck des Gemüts im
Rumpf sestzustellen und, wenn
möglich, frenrde „Ausdruckshaltun-
gen" willkürlich anzunehmen.

Es ist mir nun meines Er-
achtens festzustellen gelungen, daß
gewisse Typen der Rumpfhaltung
immer wiederkehren; daneben gibt
es allerdings innerhalb jedes Typus
ganz gleichmäßig gewisse Anter-
arten, doch soll hier in der Haupt-
sache nur von den Hauptthpen die
Rede sein.

Eine Hauptart, der sogenannte
I. Typus zeichnet sich dadurch aus,
daß sein Träger ständig, gewohn-
heitsmäßig den Anterleib in wage-
rechter Richtung vorgewölbt, vor-
geschoben hält, man kann diese Hal-
tung kurz als Cäsarenhaltung
bezeichnen, zumal sie gerade im
Lande der Eäsaren, im alten und
neuen Italien hauptsächlich zu
finden ist. Deutlich zeigen die Sta-
tuen Läsars und andrer römischer
Kaiser den vorgeschobenen, vorge-
wölbt gehaltenen Anterleib, den
etwas zurückgelegten Rumpf, die
wenig geschwungene Rückenlinie.
Meist bemerkt man diese Merkmale
verbunden mit ziemlich massivem
Körper und im Verhältnis zur

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