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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 24 (2. Septemberheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0489
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vorgewölbt wird. Diese Haltung
fiudet sich regelrnäßig im deutschen
Sprachgebiet, bei den Engländern
und Schweden, und pflegt meist mit
schlankem Körperbau und langen
Beinen gepaart zu sein. Soferne
nicht Fettpolster die Beobachtung
verhindern, macht sich dieser Lypus
äußerlich durch das Hervortreten
der Brust und ein Zurückweichen
des Anterleibs bemerkbar. Die
Rückenlinie ist nur sanft geschwun--
gen, die Schultern treten (im Gegen--
satz zum III.Typus) mehr nach vorne.
Die ganze Haltung ist eine „vorge-
legte", so wie sie zum Beispiel auf
Grund der deutschen Exerzierregle-
ments beim Militär gelehrt wird.

Diese Haltung mit dem hellen
und weichen Stimmklang muß man
zum Beispiel annehmen, wenn man
die Werke von Beethoven, Schiller,
Weber, Schumann, Brahms mit
natürlichem Ansdruck wiedergeben
will. Man gewahrt sie auch an
den Hohenzollernfürsten, deren
Briefe man nicht etwa in der Cäsa-
renhaltung Napoleons oder Hadri-
ans, Machiavellis oder Michel-
angelos sprechen kann, selbst dann
nicht, wenn sie etwa französisch ge-
schrieben sind. Man vergleiche zum
Beispiel folgende Briefstellen von
Friedrich dem Großen:

8ui8 kort kacbs ä'apprenäre
gus Vou8 n'ets8 pL8 encors re8titue
äe Votre Inäi8po8ition, il kaut gue
8'exerci886 mon cker krere pour kaire
cireuler le 8anZ luz^ 8'il ne

circule pa8 äs lu^ meme; je me
trouve plLlSLnt äe ce gue mon bipo-
conärie äonne äe8 Eon8sil3 a 1a
Votre . . ."

Oder:

„Ich bin Meines allergnädigsten
Vahters befehl gemeß heute nach
der jacht gewesen, alß aber mit
vieller Lrauer gehöret, das Mein
allergnädigster Vahter unpas sei,
so bin wieder hier zurücke gekom-

men. Hier bei dem Regiment stehet
gottlob noch alles guht und habe ich
3 schöne Recruten von dem hertzoch
von Lisenach gekriegt, welche alle 3
über (( Zoll seindt."

Dem Anterschied in der Haltung
zwischen dem I. und II. Thpus eut-
spricht ein fühlbarer Anterschied im
Seelischen: Der I. Typus der
Haltung ist der Ansdruck eines zur
Milde, jedoch zu großer Hitze
neigenden Fühlens, während die
Haltung des II. Typus Ausdruck
eines ebenfalls milden, jedoch zur
Kühle neigenden Gemütslebens ist.
Der Körper der Venus von Milo
zum Beispiel trägt ebenso wie der
Körper Napoleons eine schlum-
mernde Glut in sich, die jeden
Augenblick in größter Hitze aufflam-
men kann. Diese Gleichheit in rein
gemütlicher Beziehung dürfen wir
nicht etwa wegen der sonst bestehen-
den Anterschiede im Charakter, in
Verstandeseigenschaften, Geschlecht,
einer etwa bestehenden Neigung zu
Trauer oder Freude usw. leugnen
wollen. Das ist ja überhaupt hier
das Besondere, daß es sich immer
nur um das reine Fühlen und
dessen Ausdruck handelt, um nichts
anderes sonst. Auch mit den Be-
zeichnungen „heißes" oder „kühles"
Gemütsleben soll nicht irgendein
Werturteil abgegeben, sondern nur
eine vorhandene seelische Tatsache
bezeichnet werden.

Der sogenannte III. Typus der
Haltung, der mit metallisch hartem
und hellem Stimmklang gepaart ist,
drückt das starke und zur Kälte
neigende Fühlen aus. Man nimmt
ihn dadurch an, daß man entweder
die Rumpfmuskeln schräg nach
rückwärts (Pfeilrichtung Fig. 3)
oder schräg nach vorwärts
abwärts (Pfeilrichtung Fig. H)
schiebt. Die Haltung ist in beiden
Fällen gestreckt, die Rückenlinie,
namentlich bei der einen Art des

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