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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 34.1991

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Aufsätze
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Hagenow, G.: Humanitas: (Plinius Sec. Epistula Lib. VIII 8)
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Aufsätze

Humanitas
(Piinius Sec. Epistula Lib. VH) 8)
Der Anlaß zu dem Brief, den der jüngere Piinius an seinen Freund Romanus schrieb,
war weder ein weltbewegendes Ereignis der Zeitgeschichte noch ein herausragendes
persönliches Erlebnis. Es war vielmehr der Eindruck, den er von einer Landschaft emp-
fing, als er durch Umbrien reiste — wahrscheinlich während einer Fahrt zwischen sei-
nem Heimatort Como und dem Wohnort seines Onkels Piinius des Älteren Misenum
am Golf von Neapel, bei dem er wohl öfter oder länger wohnte.
Ohne Einleitung und ohne Umschweife kommt Piinius nach der Anrede sofort auf sein
Thema. Er schreibt (Epist. Lib. VIII 8): ,,Hast Du schon einmal die Clitumnus-Quelle
gesehen?" (vidistine aliquando Clitumnum fontem?) und fügt hinzu: ,,Wenn nicht —
und wahrscheinlich noch nicht, sonst hättest Du mir davon erzählt (se nondum — pu-
to nondum, alioquin narrasses mihi)", und er endet mit der Bemerkung: ,,Sieh sie Dir
an, ich habe sie mir kürzlich angesehen, und es reut mich, daß es erst jetzt geschehen
ist" (,,vide, quem ego — paenitet tarditatis — proxime vidi").
Es kennzeichnet das nahe freundschaftliche Verhältnis zwischen Briefschreiber und
-empfänger, daß Piinius einfach als selbstverständlich voraussetzt, der Freund hätte
ihm sicher davon erzählt, wenn er das gleiche Landschaftserlebnis gehabt hätte, wie er
selbst, und hätte ihm das auch ebenso mitgeteilt, wie er das nun tut. Damit bezeugt er
ein starkes und tiefes Maß gegenseitigen Verständnisses.
Dann gibt er ein lebendiges Bild des Landschaftsidylls:^ Aus einem Talhang, der offen-
bar den Grundwasserspiegel anschneidet, entspringen mehrere kleine Quellen, ihre
Abflüsse winden sich durch die Grasflur dem Talgrund zu, wo sie sich zu einem Bach
vereinen. Dieser erreicht bald die Stärke eines Flüßchens, das sogar für Kähne befahr-
bar ist. An ihm steht ein schlichtes Heiligtum, das dem Flußgott geweiht ist, und es fin-
den sich auch zahlreiche Weihinschriften in der Umgegend. Und er schließt den Brief
mit den Worten:,,Vieles wirst Du hübsch finden, manches belächeln — aber nein, ge-
mäß Deiner humanitas wirst Du nichts belächeln" (multa laudabis, non nulla ridebis,
quamquam tu vero, quae tua humanitas, nihil ridebis).
Aus diesem Zusammenhang gilt es nun, den Begriff humanitas zu bestimmen und zu
interpretieren. Die Übersetzung von Kasten^ ist sicher zu frei und schöpft ihn nicht
aus: ,,Du bist ein gebildeter Mann". Natürlich wird sich der Freund im Innern wohl er-
haben gefühlt haben über die ungeschickten, vielleicht sogar plumpen Zeichen der
Frömmigkeit einer ländlichen Bevölkerung, wie sie sich auf den dortigen Weihinschrif-
ten kundtut. Aber er wird gewiß nicht verächtlich über sie lächeln oder gar spotten.
Davor wird ihn seine Humanitas bewahren, das achtungsvolle Taktgefühl gegenüber
den religiösen Empfindungen anderer, auch einfacherer Mitmenschen. Piinius, der,

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