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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 34.1991

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Nr. 1
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Buchbesprechungen
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Nickel, Rainer: [Rezension von: Carl Wilhelm Weber, Diogenes. Die Botschaft aus der Tonne]
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Nickel, Rainer: [Rezension von: Marcus Tullius Cicero, De finibus bonorum et malorum. Über das höchste Gut und das größte Übel. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Harald Merklin]
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https://doi.org/10.11588/diglit.35875#0025

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das Gegenteil von dem sagte und tat, was 'man' zu denken und zu tun gewohnt war". So wollte
er folgerichtig auf dem Bauch liegend beerdigt werden, ,,wei! in kurzer Zeit das Untere ohnehin
zuoberst gekehrt werden wird" (Diogenes Laertius 6, 31 f.). Die kynische Philosophie entwickel-
te sich zu einem ,,Überlebensprogramm" in wirrer Zeit, das auf größtmögliche Unabhängigkeit
von der Welt, ihren Verführungen und Gefährdungen, zielte. Gleichwohl war das Programm des
Kynikers ,,alles andere als eine Aufforderung zur Resignation, als ein Aufruf zum trostspenden-
den Rückzug in die Innerlichkeit. Es war auch ein sehr aggresiver — und konstruktiver — Protest,
Protest gegen Gedankenlosigkeit und geistigen Einheitstrott, gegen Pharisäertum und verkruste-
tes Denken, gegen sinnentleerte Traditionen und hohle Konventionen, gegen Mitläufertum und
Schablonen-Existenz" (C.W.W., 26). Carl Wilhelm Weber zeichnet ein umfassendes und zu-
gleich überaus anschauliches Bild des bissigen „Hundes", der niemanden verschonte, der ihm
auffiel oder sich ihm in den Weg stellte. Alles und jeden gab er der Lächerlichkeit preis, indem er
sich auf das athenische Grundrecht der Parrheesia, der unbedingten Redefreiheit, berief. Seine
Schlagfertigkeit, die Waffe des Underdogs, war sprichwörtlich. C.W.W. ordnet die Nachrichten
über Diogenes, die z.B. von Diogenes Laertius, Dio Chrysostomus, Epiktet, Lukian oder dem rö-
mischen Kaiser Julian aufgehoben wurden, zu zehn Themenkreisen. Dazu gehören der „schwar-
ze Humor aus dem Munde eines 'bissigen Hundes'"ebenso wie die „Respektlosigkeit im Um-
gang mit Autoritäten" oder die „Gesellschafts- und Zivilisationskritik eines Aktionsphilosophen".
Die wichtigste Botschaft der praktischen Philosophie des Diogenes aber bleibt die Gleichsetzung
des naturgemäßen mit dem einfachen, dem asketischen Leben, dem radikalen Konsumverzicht
und der Beschränkung auf die Befriedigung nurderallernötigsten Grundbedürfnisse. In der Aske-
se sieht Diogenes die Voraussetzung für Unabhängigkeit und innere Freiheit. Die Genügsamkeit
ist ihm die einzige „Waffe gegen Fremdbestimmung" (C.W.W.,120).
Es ist dem Verf. zu danken, daß er aus der Fülle der indirekten Überlieferung einen philosophi-
schen Provokateur der Antike hervortreten läßt, der uns heute mehr denn je beunruhigt und
schockiert, aber auch Anstöße zum Überdenken unreflektierter Einstellungen und Haltungen
gibt. Vielleicht bietet die „Botschaft aus der Tonne", die kynische Alternative zur hemmungslo-
sen Wachstumsideologie, eine Chance, das selbstmörderische „Raubherrschaftsverhältnis" (Pe-
ter Sloterdijk) des Menschen gegenüber seiner natürlichen Umwelt noch rechtzeitig zu korrigie-
ren. Doch dazu müssen wir lernen, nicht mehr nur Dädalus, dem homo faber, sondern auch
Diogenes, dem Propheten des einfachen Lebens zu folgen. R.N.
Marcus TuPius Cicero; De finibus bonorum et ma/orum. Über das höchste Gut und das größte
Übei. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und berausgegeben von biara/d Merkiin, .Stuttgart (Phi/ipp
Reciam jun.) 7 989. 542 S.
Mit der zweisprachigen Ausgabe wird ein weiteres Werk Ciceros in Reclams Universalbibliothek
aufgenommen. (Bisher liegen über zwanzig Reclam-Bände vor, die Ciceros schriftstellerisches
Schaffen in Übersetzungen und zweisprachigen Ausgaben dokumentieren.)
Die Einleitung (S. 3-51) informiert zunächst über die vier großen Philosophenschulen, deren Ver-
treter sich mit der im Titel der Schrift bezeichneten Frage nach dem absoluten Zielpunkt und
Richtmaß menschlicher Orientierung auseinandergesetzt haben, und über Ciceros Verhältnis zur
Philosophie. Darauf folgt eine Werkbeschreibung der Schrift „De finibus" mit einer Darstellung
der Gesprächspartner — Cicero behandelt das Thema in Form fingierter Gespräche — und einer
Aufbauskizze des in fünf Bücher gegliederten Textes. Den Abschluß der Einleitung bildet ein
knapper Überblick über die „Nachwirkung", die Ciceros philosophische Schriftstellerei insge-
samt auf die Nachwelt hatte. Die neue Übersetzung der Schrift,,De finibus", die dem lateini-
schen Text der Teubner-Ausgabe von Th. Schiche (Leipzig 1915) folgt, ist ein erneuter Beweis da-
für, daß das Interesse an dem römischen Autor ungebrochen groß ist, sind doch in den vergange-
nen drei Jahrzehnten außer der vorliegenden schon drei zweisprachige Ausgaben von „De fini-

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