Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 34.1991

DOI Heft:
Nr. 3
DOI Artikel:
Buchbesprechungen
DOI Artikel:
Deneke, Bernward: [Rezension von: Heinrich Reinhardt, Centuria haicuum, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Robert Chlada]
DOI Artikel:
Berichte und Mitteilungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.35875#0102

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Affektion entleert, schließlich in Nr. 107 gleich der ,,prisca piscina" in vollkommener Ruhe her-
abfallende Lichtpünktlein (,,lumina") aufzufangen? Unterschwellige Mystik also in diesen Haiku-
gedichten? Sonst wären es eben nicht echte Haiku.
Auch in formaler Hinsicht bleibt H.R. der Tradition meist treu, obwohl er sich dann und wann
Freiheiten herausnimmt: bisweilen tritt der siebensiibige Langvers in unkanonischer Position als
erste oder dritte Zeile auf, ganz selten begegnet die Silbenverteilung 6-6-5. Ebenfalls könnte
dem Autor die Tatsache, daß seine Haiku selten nur sogleich verständlich, nie naiv, oft sogar be-
wußt rätselhaft sind, als Abweichung von der Tradition der unmittelbaren Verständlichkeit ausge-
legt werden. Doch gerade sehr alte japanische Haikugedichte weisen häufig dieselbe Eigenart
auf. Sie sind für ,,gesunden Menschenverstand" wie angestrengt diskursives Denken ein regel-
rechtes Kreuz, werden erst dem Blick etwa eines ekstatischen Zenbuddhisten einsichtig. H.R's
Gedichte sind keineswegs unter die peinlichen Produkte jener alles irgendwie Fernöstliche be-
wundernden und imitierenden westlichen Moderichtung einzureihen. Was diese hervorbringt,
ist,,factum, non genitum". Die originellen Gewächse der ,,Centuria haicuum" aber sind Origi-
nale ihres Autors durch und durch, sind vielleicht vor allem dadurch den originären japanischen
Haiku mehr verwandt als gewollte Nachahmungsversuche. Humorvolles — oder richtiger gesagt:
Heiteres — und Besinnliches ergänzen sich, die Lektüre behält stets ihren Reiz. Die Gedichte
wollen nachsinnend gelesen werden. Durch die bereits erwähnte äußere Gestaltung (nur ein
Haiku pro Seite) wird das vorbildich erleichtert. Der Leser braucht nicht wie einst die Mönche bei
ihrer ,,iectio divina" mit umständlichem Aufwand den gerade nicht meditierten Teil des Blattes
abdecken. Während sich auf der linken Seite recte der Originaltext befindet, ist gegenüber auf
der rechten die (leider nicht im Haiku-Maß, aber in guten freien Rhythmen gehaltene) deutsche
Parallelübersetzung von R. Chlada kursiv gedruckt. Vom Übersetzer stammen auch zwei einlei-
tende Essays: eines, das kurz und bündig das bisherige Schaffen des vielseitigen Autors umreißt;
ein anderes zur Einführung in die Thematik der Haikudichtung und ihrer Übertragbarkeit in den
lateinischen Sprachbereich. Dort wird u.a. die provozierende Behauptung aufgestellt, ganz an ih-
rem Anfang sei wohl auch die lateinische Dichtung nicht der quantitierenden Metrik verpflichtet
gewesen (?). Für den Didaktiker dürfte der Hinweis des Dichters von Interesse sein, das Dichten
von lateinischen Haiku im Unterricht sei eine Möglichkeit, rasch und mit hohem Identifikations-
gewinn in die ,,aktive" Lateinbeherrschung einzutreten (S. 258). Das wäre einmal zu testen.
Insgesamt ein so eigenständiger Anstoß für die ,,lebendige Latinität", daß sich oftmaliges Lesen
nur lohnen kann. Ob von dieser Neuerscheinung, die also alles andere als eine Chimäre ist, nicht
kraftvolle Impulse zu erwarten wären: in die Tiefe zunächst, dann auch in die Breite? Es bleibt
Aufgabe aufgeschlossener Leserkreise, das hier Gebotene erst zu vertiefen, dann zu verbreiten.
BERNWARD WILHELM DENEKE

Berichte und Mittedungen

1. Der zweite Beriiner Schüierwettbewerb ,,Lebendige Antike" — der erste in ganz Bertin
Der erste Berliner Schülerwettbewerb ,,Lebendige Antike" im jahre 1989 war bewußt andere
Wege gegangen. Nicht wie in den anderen Bundesländern Übersetzungsklausuren, Hausarbei-
ten, Disputationen wurden gefordert. In Flächenstaaten, in denen zudem Latein ab der 7. Klasse
als Lehrgangsform vorherrscht, mag derlei angehen. Wenn aber Latein wie in Berlin mit relativ

92
 
Annotationen